Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer auf die Stilllegung des Betriebes gestützten betriebsbedingten Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Stilllegung des gesamten Betriebs oder eines Betriebsteils durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S. von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können.

2. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Erforderlich ist lediglich, dass die geplanten Maßnahmen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits "greifbare Formen" angenommen haben. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber eine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Miet- und Pachtverträge zum nächst möglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt.

3. Von der Betriebsstilllegung ist die Betriebsveräußerung abzugrenzen. Allerdings stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen (sogenannte Funktionsnachfolge) ebenso wenig einen Betriebsübergang dar, wie die reine Auftragsnachfolge.

4. Eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten (§ 1 Abs. 3 KSchG) kommt nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern zum Ablauf der jeweils für sie geltenden Kündigungsfristen gekündigt hat.

5. Die Übermittlung einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit per Telefax genügt für die nach § 17 Abs. 3 KSchG geforderte Schriftlichkeit der Anzeige.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 17; BetrVG §§ 113, 113 Abs. 3; KSchG § 1 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.11.2015; Aktenzeichen 63 Ca 1626/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.10.2017; Aktenzeichen 2 AZR 730/16)

BAG (Urteil vom 27.04.2017; Aktenzeichen 2 AZR 730/16 (A))

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. November 2015 - 63 Ca 1626/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, einer vorsorglich ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung und über einen hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs.

Die am ..... 1962 geborene Klägerin, die verheiratet ist, war seit dem 1. Januar 1992 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten und dann bei der Beklagten als Angestellte im Bereich der Gepäckermittlung am Flughafen Berlin-T. beschäftigt. Ihr Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt etwa 2.700,00 Euro.

Einzige Kommanditistin der Beklagten ist die G. Berlin GmbH & Co KG (im Folgenden GGB), deren Kommanditanteile seit 2008 von einem Unternehmen der W.-Gruppe gehalten werden. Komplementärin der Beklagten ist die A. P. S. Berlin Beteiligungs GmbH und Komplementärin der GGB ist die G. Berlin B. GmbH. Die Gesellschaftsanteile der Komplementärinnen werden jeweils von natürlichen Personen gehalten (vgl. Anlage B-K1, Bl. 58 und 59 der Akte). Die GGB ist allein stimmberechtigte Gesellschafterin der Beklagten.

Die GGB erbrachte bis zum Jahr 2012 verschiedene Dienstleistungen auf den Flughäfen T. und S., ua. die Passagierabfertigung. Der Betrieb der GGB wurde im Jahr 2011 in die Betriebe Verwaltung, Passage, Vorfeld und Werkstatt aufgespalten. Im Jahr 2012 übertrug die GGB den Bereich der Passagierabfertigung auf die Beklagte. Die Klägerin, die bei der GGB in diesem Bereich als Arbeitnehmerin tätig war, wurde von der Beklagten weiterbeschäftigt. Sie widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte nicht. Die GGB übertrug im Jahr 2012 ferner Bereiche mit anderen Dienstleistungen, nämlich Werkstatt und Vorfeld, auf andere Gesellschaften, der Verwaltungsbereich verblieb bei der GGB. Seit Ende 2013 beschäftigt die GGB keine Arbeitnehmer mehr.

Alleinige Auftraggeberin der Beklagten war die GGB, die wiederum mit Fluggesellschaften Dienstleistungsverträge abgeschlossen hatte. Die GGB hat jedenfalls nach Auslaufen von mit den Fluggesellschaften geschlossenen Dienstleistungsverträgen auch von der W.-C. GmbH & Co. KG, die mit Fluggesellschaften neue Dienstleistungsverträge abgeschlossen hatte, Aufträge erhalten.

In der ersten Hälfte des Jahres 2014 kündigte die GGB gegenüber der Beklagten verschiedene Dienstleistungsaufträge. Der der Beklagten erteilte Auftrag für die Passagierabfertigung am Flughafen S. wurde zum 30. Juni 2014 gekündigt. Ab dem 1. Juli 2014 wurde die P. S. S. GmbH & Co. KG (PSS GmbH & Co. KG) mit dieser Dienstleistung von der GGB beauftragt. Die PSS GmbH & Co. KG beschäftigte einen Großteil der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer der Beklagten weiter. Einige Arbeitnehmer widersprachen dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse von der Beklagten auf die PSS GmbH & Co. KG.

Die GGB kündigte mit Schreiben vom 9. September 2014 (Anlage B-K2, Bl. 60 der...

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