Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen vorübergehenden und dauerhaften Aufgaben bei Sachgrundbefristung im drittmittelfinanzierten Forschungsbereich. Unwirksamkeit der Sachgrundbefristung bei Daueraufgaben. Durchgehende Beschäftigung in verschiedenen Projekten als Daueraufgabe. Missbrauch der Befristung in zwölf Jahren bei Tätigkeit der Studienassistentin (Study Nurse) im Drittmittelbereich
Leitsatz (amtlich)
1. Die Sachgrundbefristung wegen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfes in einem Forschungsprojekt setzt voraus, dass die Arbeiten nicht im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers entstehen.
Entscheidend ist, ob die Tätigkeiten im Rahmen des Betriebszwecks ihrer Art nach im Wesentlichen unverändert und kontinuierlich anfallen
(dann handelt es sich um Daueraufgaben) oder ob sie entweder nur unregelmäßig - zum Beispiel nur aus besonderem Anlass - ausgeführt werden oder mit unvorhersehbaren besonderen Anforderungen auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verbunden sind und deshalb keinen vorhersehbaren Personalbedarf sowohl in quantitativer Hinsicht als auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verursachen.
2. Wird eine Studienassistentin (Study Nurse) in Forschungsprojekten aufgrund von aneinander gereihten sachgrundbefristeten Arbeitsverträgen über einen besonders lang andauernden Zeitraum beschäftigt (hier: mehr als zwölf Jahre), so spricht ein vom Arbeitgeber zu widerlegendes Indiz für die rechtsmissbräuchliche Anwendung der Sachgrundbefristung.
Dieses Indiz ist auch unter Berücksichtigung von Artikel 5 Absatz 3 GG im Drittmittelbereich nicht widerlegt, wenn der Arbeitseinsatz in verschiedenen Projekten auch bei teilweise zusätzlich zu erwerbenden Fähigkeiten nahtlos möglich ist.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 5 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 09.10.2020; Aktenzeichen 58 Ca 3675/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.10.2020 - 58 Ca 3675/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den unbefristeten Bestand des Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin, eine gelernte Arzthelferin, ist aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverhältnisse seit dem 01.01.2009, zuletzt aufgrund eines bis zum 31.03.2022 befristeten Arbeitsvertrages, bei der Beklagten, einer Einrichtung der Universitätsmedizin, in verschiedenen drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten als Studienassistentin (Study Nurse) beschäftigt. Die Beklagte bietet Kurse für Studienassistent*innen in ihrem Koordinierungszentrum für Klinische Studien (KKS; siehe dazu die Anlage K 18, Blatt 193 ff der Akte) an. Wegen der Tätigkeitsbeschreibung wird auf Seite 3 des angefochtenen Urteils (Blatt 227 der Akte) verwiesen. Bereits vor dem 01.01.2009 bestand ein befristetes Arbeitsverhältnis der Parteien, zeitlich umschlossen von befristeten Arbeitsverträgen der Klägerin mit dem Deutschen Institut für E (DIfE), bei dem der damalige Abteilungsdirektor der Beklagten und Vorgesetzte der Klägerin eine Funktion als Abteilungsleiter innehatte. Eingesetzt wurde die Klägerin seit 2002 durchgehend im Betrieb der Beklagten. Wegen der Vertragshistorie im Einzelnen wird auf Seite 2 des angefochtenen Urteils (Blatt 226 der Akte) verwiesen.
Die Klägerin wurde zuletzt bei einer Wochenarbeitszeit von 35,10 Stunden nach Maßgabe der Entgeltgruppe 9 b TVöD-VKA vergütet.
Die Klägerin wird derzeit in einem drittmittelfinanzierten Projekt zur Förderung des Aufbaus einer Nachwuchsforschungsgruppe für kardiovaskuläre Erkrankungen unter dem Projektleiter Herrn Dr. A eingesetzt. Auf den Projektantrag vom 31.10.2017 (Anlage B 1, Blatt 94 ff der Akte), die Bewilligung mit Schreiben vom 06.12.2017 (Anlage B 2, Blatt 117 ff der Akte) sowie eine Freimeldebescheinigung (Anlage B 3, Blatt 120 ff der Akte) wird verwiesen.
Mit der am 23.03.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass der letzten Befristungsabrede ein sachlicher Grund fehle. Allein die Querfinanzierung über Drittmittelgeber rechtfertige nicht die Befristung. Der Projektleiter und weitere Overhead-Kosten würden gerade nicht von der Corona-Stiftung, die das letzte Projekt finanziere, finanziert. Das spreche für das Vorliegen einer Daueraufgabe. Auf die Befristung eines Projektes könne sich ein Arbeitgeber nur dann berufen, wenn es sich bei den im Projekt zu bewältigenden Aufgaben um auf vorübergehende Dauer angelegte Aufgaben handele, die gegenüber Daueraufgaben abgrenzbar seien. Könne der Arbeitgeber im Rahmen seines Betriebszwecks einen im Wesentlichen unveränderten Personalbedarf prognostizieren, sei ihm eine Befristung des Arbeitsverhältnisses verwehrt. Die Kernaufgaben der Klägerin als Study-Nurse seien seit 2002 immer die gleichen gewesen, wobei sie lediglich auf Grund im Zeitraum von Dezember 2017 bis April 2018 erworbener zusätzlicher Qualifikationen zur selbständigen Durchführung der Echokar...