Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindestlohnanspruch im Taxigewerbe
Leitsatz (amtlich)
Wechselschichtzulagen, Funkzulagen und Leistungsprämien im Taxigewerbe sind nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen.
Normenkette
MiLoG §§ 1, 1 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.10.2015; Aktenzeichen 19 Ca 8090/15) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Oktober 2015 - 19 Ca 8090/15 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
1.898,75 Euro brutto (eintausendachthundertachtundneunzig, 75/100)
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 1.376,25 EUR ab dem 17. Juni 2015, auf weitere 271,25 EUR ab dem 23. Juli 2015 und auf weitere 271,25 EUR ab dem 1. August 2015 zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 1.898,75 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den gesetzlichen Mindestlohn für die Monate Januar bis Juli 2015 und die Frage, ob eine der Klägerin gezahlte Wechselschichtzulage, eine der Klägerin gezahlte Funkzulage und zwei Leistungsprämien auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen sind.
Die 36 Jahre alte Klägerin (.... 1979) ist bei der Beklagten seit dem 22. Januar 2006 als Telefonistin beschäftigt. Die monatliche Arbeitszeit der Klägerin beträgt 182,5 Stunden im Drei-Schicht-Dienst. Das monatliche Gehalt der Klägerin beträgt derzeit 1.280,-- EUR brutto. Neben dem Grundgehalt erhält die Klägerin monatlich eine Wechselschichtzulage in Höhe von 243,75 EUR brutto, eine Funkprämie in Höhe von 122,71 EUR brutto sowie Leistungsprämien LP 1 in Höhe von 81,81 EUR und LP 2 in Höhe von 51,13 EUR brutto.
Im Anstellungsvertrag für Telefonist/in vom 8. August 2006 haben die Parteien vereinbart, dass die Arbeitszeit täglich "nach Planeinteilung in Schichtarbeit (Drei-Schicht-Dienst)" erfolge.
In einem mittlerweile seit mehr als 10 Jahren gekündigten Vergütungstarifvertrag vom 24. August 2001 zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di ist in § 2 Abs. 3 zur Funkzentrale und dort für die Gruppe Z 1 geregelt: Diese Vergütungen erhöhen sich bei nachgewiesener Befähigung und Fertigkeit der selbständigen Funkkanalbedienung um DM 60,-- bzw. € 30,68 je Kanal (max. DM 240,-- bzw. € 122,71), unabhängig davon, ob einzelne Kanäle im Abrechnungszeitraum bedient wurden. Diese Funkzulage berücksichtigt, dass Berlin aufgrund seiner Größe in vier Funkbereiche aufgeteilt ist, in denen beispielsweise zahlreiche Straßennamen mehrfach auftreten und nicht das gesamte Stadtgebiet sogleich von jedem Mitarbeiter in der Taxizentrale beherrscht werden muss.
In einer Betriebsvereinbarung zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat vom 22. Juli 1999 sind in § 3 Prämien geregelt. Konkret ist dort vereinbart:
"Zum einen wird die Leistung der Angestellten durch eine Kennziffer K (Leistungsprämie LP1) bemessen, die aus verschiedenen Auftragsarten der Telefonannahme und Funkvermittlung im Vergleich aller Mitarbeiter ermittelt wird.
Zum anderen werden seitens der Geschäftsleitung allgemeine Kriterien, wie Sprache, Höflichkeit, Korrektheit und Zuverlässigkeit zur Beurteilung der Angestellten und somit zur Vergabe der Prämie (Leistungsprämie LP 2") herangezogen.
Die Klägerin meint, dass sie ausgehend von ihrem Grundgehalt nicht den nach dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) vorgesehenen Mindestlohn für ihre Tätigkeit erhalte. Zulage und Prämie seien darauf nicht anzurechnen. Denn der Mindestlohn könne für die "Normal"-Leistung beansprucht werden. Anders als beim tariflichen Mindestlohn seien Zuschläge beim gesetzlichen Mindestlohn nicht anrechenbar, weil das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns eine solche Regelung nicht beinhalte.
Die Beklagte meint, dass die Zulagen jeweils auf den Mindestlohn anzurechnen seien. Dass die Arbeitszeit in Wechselschicht zu leisten sei, sei bereits im Arbeitsvertrag vereinbart worden. Die Funkprämie werde auch für die Normalleistung der Klägerin entsprechend dem seit langem gekündigten Vergütungstarifvertrag gezahlt, je nach Beherrschung der Bereiche im Stadtgebiet Berlin. Auch die Leistungsprämien hätten ihre Grundlage in dem gekündigten Vergütungstarifvertrag. Auch diese würden für Normalleistungen gezahlt.
Mit Urteil vom 5. Oktober 2015 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Auf den Mindestlohn seien nur solche Zulagen und Zuschläge nicht anzurechnen, die der Arbeitnehmer nur dann erhalte, wenn er auf Verlangen des Arbeitgebers ein Mehr an Arbeitsleistung oder Arbeit unter besonderen, erschwerten Bedingungen erbringe. Sowohl die Wechselschichtzulage wie die der Funkzulage zugrundeliegende Fähigkeit würden dem Tätigkeitsbild der Telefonistin in einer Taxizentrale entsprechen. Deshalb sei von einer funktionalen Gleichwertigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auszugehen. Es sei damit die...