Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Arbeitnehmerüberlassung bei fehlender Erlaubnis Feststellungsklage eines System-Ingenieurs auf Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur Durchführung eines Dienstleistungs- oder Werkvertrages
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a.F. gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Entleiher und einem Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG a.F. unwirksam ist. Nach § 9 Nr. 1 AÜG a.F. ist ein Vertrag zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG a.F. erforderliche Erlaubnis hat.
2. Eine Überlassung zur Arbeitsleistung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AÜG a.F. liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen.
3. Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird ein Unternehmer für einen anderen tätig und organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich.
4. Über die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen der Entleiherin und der Arbeitgeberin entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht.
5. Ein Arbeitnehmer, der die vertraglichen Vereinbarungen zwischen seiner Vertragsarbeitgeberin und dem Drittunternehmen nicht kennt, muss Tatsachen vortragen, die eine Würdigung rechtfertigen, wonach der Arbeitnehmer einer Entleiherin zur Arbeitsleistung überlassen ist. Es ist dann Aufgabe der Drittunternehmerin, die Tatsachen darzulegen, die gegen das Vorliegen des Tatbestands aus § 1 Abs. 1 AÜG a.F. sprechen.
6. Die Drittunternehmerin genügt ihrer Darlegungslast, wenn sie die eine werkvertragliche Vereinbarung begründenden Tatsachen vorträgt. In diesem Fall ist es nunmehr Sache des Arbeitnehmers, die Kenntnis der auf Seiten der beteiligten Unternehmen handelnden und zum Vertragsabschluss berechtigten Personen von der tatsächlichen Vertragsdurchführung vorzutragen.
Normenkette
AÜG a.F. § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1; BGB § 611 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.11.2015; Aktenzeichen 56 Ca 4307/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. November 2015 - 56 Ca 4307/15 - abgeändert.
1. Es wird festgestellt, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten seit dem 1. April 1997 ein Arbeitsverhältnis besteht.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als System-Ingenieur weiterzubeschäftigen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen seit dem 1. April 1997 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt mit Sitz in Köln, die auch in Berlin einen Standort unterhält, der als F. Berlin bezeichnet wird. Im Jahr 1990 wurde die D. Marketing- und Dienstleistungsgesellschaft mbH, die im Jahr 1994 in die D.-Marketing- und Dienstleistungsgesellschaft mbH umfirmierte, gegründet. Gegenstand dieser Gesellschaft war die Wahrnehmung organisatorischer Aufgaben für den Deutschlandfunk sowie die Übernahme von Dienstleistungen für den D.. Im Mai 2002 verschmolzen die D.-Marketing- und Dienstleistungsgesellschaft mbH und die Media Gebäudemanagement GmbH und wurden unter der Firma D. Marketing und Service GmbH in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand dieser Gesellschaft war die Wahrnehmung organisatorischer Aufgaben für D. sowie die Übernahme von Dienstleistungen für D.. Im Mai 2005 wurde die Gesellschaft umfirmiert in D. Service GmbH (im Folgenden D. GmbH). Bei der D. GmbH handelt es sich um eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Beklagten.
Die Beklagte nahm seit dem Jahr 1995 von der D. GmbH bzw. deren Vorgängergesellschaft PC-D. in Anspruch. Die Beklagte hatte mit der D. Marketing GmbH für das F. Köln eine als "Auftrag" bezeichnete Vereinbarung geschlossen. Es heißt dort:
"Hiermit schließen wir mit Ihnen folgenden Dienstleistungsauftrag:
AUFTRAGSGEGENSTAND:
PC-Service und Netzwerkbetreuung in unserem F. Köln und Studio Bonn in 1997
LEISTUNGSBESCHREIBUNG:
PC-Service für Endgeräte-Hardware und Software einschl. Lizenzverwaltung auf der Grundlage unseres Auftrages vom 12.04.1995 (Nr. 476...