Entscheidungsstichwort (Thema)
Diplomatenimmunität
Leitsatz (amtlich)
1. Die Immunität eines Diplomaten von der Zivilgerichtsbarkeit hängt nicht von der Schwere seiner – angeblichen oder tatsächlichen – Rechtsverletzungen ab.
2. § 18 GVG verstößt nicht gegen Art. 14 GG und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Normenkette
GVG § 18
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 14.06.2011; Aktenzeichen 36 Ca 3627/11) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.06.2011 – 36 Ca 3627/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision der Klägerin wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren darüber, ob der Beklagte der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen ist.
Der Beklagte ist akkreditierter Attaché der Botschaft des Königreichs S. in der Bundesrepublik Deutschland. Er beschäftigte die Rechtsvorgängerin der Klägerin seit dem 3. April 2009 als Hausangestellte in seinem Privathaushalt. Diese trat mit Vertrag vom 15. Februar 2011 Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Abwicklung an die Klägerin ab.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Ausgleich von Entgeltansprüchen, die Erstattung von Reisekosten sowie die Zahlung eines Schmerzensgeldes gefordert. Der Beklagte habe ihre Rechtsvorgängerin in ausbeuterischer Weise beschäftigt. Diese habe den Haushalt des Beklagten nicht verlassen dürfen und sei zur Arbeitsleistung an sieben Tagen in der Woche mit Arbeitszeiten von bis zu zwanzig Stunden am Tag angehalten worden; hierbei sei es ständig zu körperlichen Misshandlungen und Erniedrigungen seitens des Beklagten und seiner Familienangehörigen gekommen. Entgegen der vertraglichen Vereinbarung sei eine eigene Unterkunft nicht gewährt worden; ihre Rechtsvorgängerin habe vielmehr ohne Matratze und warme Kleidung mit einer dünnen Decke auf dem Boden des Kinderzimmers schlafen müssen. Die zugesagte Verpflegung habe aus Essensresten bestanden. Eine Vergütung habe ihre Rechtsvorgängerin bis zu ihrer Flucht am 30. Oktober 2010 nicht erhalten; lediglich eine Urlaubsabgeltung habe der Beklagte nach außergerichtlichen Verhandlungen gezahlt. Der Beklagte habe die Menschenrechte ihrer Rechtsvorgängerin massiv verletzt. Er sei bei dieser Sachlage nicht von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit.
Der Beklagte hat die Klage für unzulässig gehalten, weil ihm als Diplomat Immunität von der gerichtlichen Inanspruchnahme zustehe. Die gegen ihn und seine Familie erhobenen Vorwürfe seien im Übrigen – was er beweisen könne – unberechtigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch ein am 14. Juni 2011 verkündetes Urteil als unzulässig abgewiesen. Der Beklagte sei nach § 18 GVG der deutschen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen. Die Immunität eines Diplomaten vor rechtlicher Verfolgung bestehe auch bei besonders schwerwiegenden Rechtsverletzungen. Sofern berechtigte Ansprüche wegen dieser Immunität nicht durchgesetzt werden könnten, stehe der Rechtsvorgängerin der Klägerin ein Entschädigungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland zu. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 20. Juni 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. Juli 2011 eingelegte Berufung der Klägerin, die sie mit einem am 19. August 2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Das Landesarbeitsgericht hat durch Beschluss vom 22. August 2011 angeordnet, dass über die Zulässigkeit der Klage abgesondert verhandelt wird.
Die Klägerin hält die Klage weiterhin für zulässig. Der Beklagte sei der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen. Ihm stehe lediglich Immunität vor einer strafrechtlichen Verfolgung, nicht aber vor einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme zu. Die zivilrechtliche Immunität müsse bei schweren Menschenrechtsverletzungen zurückstehen; anderenfalls würde der menschenrechtswidrige Zustand aufrechterhalten. Der Beklagte habe seine Immunität durch sein Verhalten verwirkt. Der Ausschluss der deutschen Gerichtsbarkeit führe zudem zu einem Eingriff in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum, ohne dass insoweit eine Entschädigungsregelung eingreife; auch würde ihr Anspruch auf Justizgewährung ohne sachliche Rechtfertigung beseitigt. Die Verhältnisse im Königreich S. ließen es nicht zu, dort ihre Ansprüche gegen den Beklagten zu verfolgen. Der Rechtsstreit sei ggf. zur Klärung allgemeiner Regeln des Völkerrechts und der Verfassungsmäßigkeit des § 18 GVG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Juni 2011 – 36 Ca 3627/11 – zu verurteilen, an sie 14.950,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 700,00 EUR seit dem 1. Mai 2009 und aus jeweils 750,00 EUR seit jedem Monatsanfang von Juni 2009 bis November 2010, 15.804,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszi...