Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame betriebsbedingte Kündigung wegen Betriebsstilllegung bei unzureichender Beratung im Rahmen einer Massenentlassung. Berücksichtigung von Unwirksamkeitsgründen einer Kündigung von Amts wegen
Leitsatz (amtlich)
1. Unwirksamkeitsgründe einer Kündigung sind unabhängig von einer Rüge des Arbeitnehmers auch von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sie sich aus einem Vortrag des Arbeitgebers oder eingereichten Unterlagen ergeben. Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsgericht zuvor einen Hinweis nach § 6 KSchG gegeben hat.
2. Verhandlungen in der Einigungsstelle gemäß § 111 S. 1 BetrVG sind keine Beratungen im Sinne von § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG.
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 2 S. 2, Abs. 3; BGB § 134; BetrVG § 111 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 26.06.2015; Aktenzeichen 28 Ca 2059/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.06.2015 - 28 Ca 2059/15 - teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung mit Schreiben vom 29. Januar 2015 aufgelöst worden ist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.
V. Die Revision wird nur für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer 1. Kündigungswelle in zahlreichen Parallelverfahren im Kern darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung wegen einer behaupteten Betriebsstilllegung sein Ende gefunden hat.
Der Kläger ist seit dem 01.05.1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Mitarbeiter Fluggastabfertigung gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.200,-- € beschäftigt.
Die Beklagte war in der Passagierabfertigung mit zuletzt ca. 190 Arbeitnehmern tätig. Sie führte diese fast ausschließlich auf dem Flughafen Berlin-Tegel durch, wobei zuletzt noch 14 Arbeitnehmer in Schönefeld in den Bereichen Gepäckermittlung und Datenbasis beschäftigt waren. In Berlin-Tegel befand sich die Personalabteilung. Die Beklagte war nur als Subunternehmerin für die G. Berlin GmbH & Co. KG (GGB) tätig. Dieses Unternehmen ist die einzige Kommanditistin der Beklagten. Die GGB kündigte ab September 2014 sämtliche Aufträge gegenüber der Beklagten. Unter dem 22.09.2014 fassten die Gesellschafter der Beklagten den Beschluss, dass es beabsichtigt sei, den Betrieb der Beklagten zum 31.03.2015 stillzulegen (Anlage BK 4). Hierbei war die persönlich haftende Gesellschafterin nicht stimmberechtigt. Der Betriebsrat der Beklagten wurde hierüber mit Schreiben vom 22.09.2014 (Anlage BK 15) informiert und zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan unter Terminangabe aufgefordert. Dem war der Entwurf eines Interessenausgleichs beigefügt. Gemäß § 3 dieses Entwurfs sollten die weiteren Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Zuge der Umsetzung der Maßnahmen unberührt bleiben.
Durch gerichtlichen Vergleich vom 28.10.2014 wurde eine Einigungsstelle zum Thema Interessenausgleich und Sozialplan eingesetzt. Nach diesem Vergleich sollte ein Vertreter der Bundesagentur für Arbeit in der 1. oder 2. Sitzung der Einigungsstelle teilnehmen, wozu es aber nicht kam. In der 4. Sitzung der Einigungsstelle am 18.12.2014 erklärten die Vertreter der Beklagten die Verhandlungen über einen Interessenausgleich für gescheitert.
Mit Schreiben vom 02.01.2015 (Anlage BK 15), das der Betriebsrat per Mail und Telefax erhielt, unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat "noch einmal formal gemäß § 17 Abs. 2 KSchG". Dieses Schreiben lautet auszugsweise:
"5. Kriterien für Abfindungen
Die Kriterien zur Berechnung möglicher Abfindungszahlungen werden sich aus dem Sozialplan ergeben, der aktuell in der Einigungsstelle verhandelt wird. Aktuell steht der APSB jedoch kein Budget für Abfindungen zur Verfügung.
Im Rahmen der Verhandlungen und insbesondere im Rahmen der Einigungsstelle haben wir ja bereits über die Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen mit Ihnen beraten, insbesondere die Möglichkeit der Errichtung einer Transfergesellschaft. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank, dass der Betriebsrat eine Information durch die Transfergesellschaft "Weitblick" für die nächsten Einigungsstellensitzung (sic) am 13. Januar 2015 möglich gemacht hat. Wir freuen uns, die Beratungen über die Vermeidung von Entlassungen an dieser Stelle fortsetzen zu können. Gerne stehe ich natürlich auch für Beratungen außerhalb der Einigungsstelle zur Verfügung."
Hierauf reagierte der Betriebsrat mit Schreiben vom 14.01.2015 (Anlage BB 1a). Erbat insofern darum, von der Massenentlassungsanzeige zunächst abzusehen, da noch über die Folgen für die Belegschaft in der Einigungsstelle beraten werde.
Mit Beschluss vom 20.01.2015 erklärten die Gesellschafter der Beklagten, dass deren Betrieb in T. und Sch. zum 31.03.2015 stillgelegt werde (Anlage BK 5). Mit Schreiben vom 20.01.2015 wurde der Betriebsra...