Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmeranspruch auf Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung seines Arbeitsplatzes im Rettungsdienst. Unbegründete Leistungsklage bei wirksamer Verpflichtung zur Ableistung von Schichten mit einer Dauer von bis zu zwölf Stunden
Leitsatz (amtlich)
1. Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber, der einen Rettungsdienst betreibt, kann gegenüber den Arbeitnehmern die Ableistung von Schichten mit einer Dauer von bis zu 12 Stunden verlangen, wenn arbeitsvertraglich die Anwendung des TVöD-VKA vereinbart und der Arbeitgeber Zuwendungsempfänger ist (§ 7 Abs. 3 S. 3 ArbZG).
2. Der Anhang B zu § 9 TVöD-VKA, der bei einem näher bestimmtem Umfang von Bereitschaftszeiten eine tägliche Höchstarbeitszeit von 12 Stunden zulässt, stellt eine tarifliche Regelung gemäß § 7 Abs. 3 S. 3 i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 4 ArbZG dar, da der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet wird.
3. Bei Vorhandensein eines Betriebsrats ist der individuelle Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung allenfalls darauf gerichtet, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat initiativ wird.
Normenkette
ArbZG §§ 3, 7 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 4, §§ 2a, 3 S. 3; ArbSchG § 5; BGB § 618 Abs. 1; ArbZG § 7 Abs. 3 S. 2; TVöD-VKA § 9 Anhang B
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 05.09.2017; Aktenzeichen 2 Ca 365/17) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 05.09.2017 - 2 Ca 365/17 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für den Kläger bzgl. der Anträge zu 2. und 3. zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch dahingehend zusteht, dass die Beklagte eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen hat, und ob er verpflichtet ist, Dienste in einem Umfang von mehr als 10 Stunden zu leisten.
Die Beklagte betreibt in Form einer GmbH den bodengebundenen Rettungsdienst im Landkreis Havelland. Die Geschäftsanteile der Beklagten werden zu 100 % von der H. K. GmbH gehalten, deren Geschäftsanteile wiederum zu 100 % der Landkreis Havelland hält. Die Beziehungen zwischen der Beklagten und dem Landkreis Havelland sind unter anderem durch Vertrag vom 22.06.2011 (Anl. B1, Bl. 172ff d. A.) geregelt.
Der Kläger war ursprünglich seit dem 01.02.2010 bei dem A.-Rettungsdienst H. beschäftigt. Im Wege des Betriebsübergangs ging dieses Arbeitsverhältnis am 01.07.2011 auf die Beklagte über. Durch rechtskräftiges Urteil des hiesigen Landesarbeitsgerichts steht fest, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der TVöD-VKA in der jeweils geltenden Fassung Anwendung findet.
Der Kläger arbeitet im Bereich der Rettungswachen Falkensee und Brieselang. Er wird immer wieder zu Diensten im Rettungsdienst eingeteilt, die mehr als 10 Stunden und bis zu 12 Stunden umfassen. Hierbei ist zwischen den Parteien streitig, ob und in welchem Umfang in dieser Zeit Arbeitsbereitschaft anfällt.
Bei der Beklagten bestand bis zum August 2015 ein Betriebsrat. Nach entsprechenden Wahlen konstituierte sich ein neuer Betriebsrat am 14.06.2017. Der Kläger ist Mitglied dieses Betriebsrats. Dem Betriebsrat wurden nach der konstituierenden Sitzung im Rahmen der Monatsgespräche Dokumentationen zu einer Gefährdungsbeurteilung vorgelegt (Anl. B1, Bl. 69ff d. A.). Unter dem 22.12.2016 hatte die Beklagte ein Konzept zur Erstellung psychischer Gefährdungsbeurteilungen für Einsatzkräfte im Rettungsdienst erstellt (Anl. B2) und entsprechende Fragebögen verteilt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine wirksame Gefährdungsbeurteilung für seinen Arbeitsplatz liege nicht vor. Die Vorlage der Dokumentationen an den Betriebsrat ersetze nicht dessen Mitbestimmungsrechte. Der Betriebsrat werde auch nicht bei der Analyse der psychischen Belastungsfaktoren beteiligt. Die Einteilung zu mehr als zehnstündigen Schichten verstoße gegen § 3 S. 2 ArbZG.
Nachdem die Parteien einen Teilvergleich hinsichtlich der Anträge zu 2., 3., 5. und 6. im Termin vom 05.09.2017 nebst Kostenregelung geschlossen haben, hat der Kläger zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, für seinen Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz durchzuführen;
2. festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, Dienste, die eine 10-stündige Arbeitszeit übersteigen und die keinen Bereitschaftsdienst, keine Arbeitsbereitschaft und keine Rufbereitschaft enthalten, zu verrichten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, es liege eine Gefährdungsbeurteilung vor. Darüber hinaus habe ein einzelner Arbeitnehmer keinen Anspruch auf bestimmte inhaltliche Anforderungen, bezogen auf eine Gefährdungsbeurteilung. Die Gefährdungsbeurteilungen seien in der Zeit vom 08.03.2016 bis 29.01.2017 aktualisiert worden. Sie seien auch deswegen wirksam, weil zu dieser Zeit ein Betriebsrat nicht bestanden habe. Sie dürfe den Kläger auch zu...