Leitsatz (amtlich)
1. Statistische Daten können im Grundsatz ein Indiz für eine geschlechtsspezifische Benachteiligung im Rahmen des § 22 AGG sein, wenn sie im Bezugspunkt der konkreten Maßnahme (Einstellung, Beförderung) aussagekräftig sind.
2. Ein solches Datum kann beispielsweise das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Bewerbungen einerseits und der Geschlechterverteilung bei den schließlich getroffenen Auswahlentscheidungen andererseits sein.
3. Demgegenüber hat die Geschlechterverteilung in der Gesamtbelegschaft im Verhältnis zu der Geschlechterverteilung in den Führungspositionen keinen entsprechenden Aussagewert, denn diese sagt nichts über die Frage der Qualifikation für und die Anzahl von Bewerbungen auf Führungspositionen aus.
Normenkette
BGB § 611a; AGG § 22
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 28.04.2006; Aktenzeichen 28 Ca 5196/06) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. April 2006 – 28 Ca 5196/06 – geändert:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung bei einer Beförderungsentscheidung.
Sie war seit dem 01. April 2002 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Musikbranche, bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als „Marketing Direktor International Division” gegen eine Bruttomonatsvergütung von rund 8.700,00 EUR tätig. Sie war als „Direktoring Pop” eine von drei Abteilungsleiterinnen bzw. Abteilungsleiter im Bereich „International Marketing”, dem der Vizepräsident Herr E. vorstand. Nachdem im September 2005 dieser zum Senior Vice President Music Division befördert und seine Stelle vakant geworden war, fiel die Auswahlentscheidung für die Besetzung der Stelle in der Nachfolge des Herrn E. auf einen der beiden männlichen Abteilungsleiter, nicht aber auf die Klägerin, die zum Zeitpunkt der Entscheidung schwanger war. Die Entscheidung, dass sie nicht berücksichtigt worden war, wurde ihr am 13. Oktober 2005 durch Herrn E. mitgeteilt; die näheren Umstände dieser Mitteilungen sind zwischen den Parteien streitig.
Mit der vorliegenden, bei Gericht am 13. März 2006 eingegangenen Klage macht die Klägerin geltend, sie sei im Hinblick auf ihr Geschlecht bei der Beförderungsentscheidung benachteiligt worden; sie begehrt diesbezüglich Schadensersatz auf der Grundlage von § 611 a BGB a.F.. Sie hat dazu die Auffassung vertreten, die ihr gegenüber negative Auswahlentscheidung beruhe auf ihrer Schwangerschaft und ihrer Mutterschaft. Denn sie sei als Abwesenheitsvertreterin von Herrn E. stets davon ausgegangen, dass sie dessen Nachfolge antreten werde. Entsprechendes habe Herr E. ihr auch mitgeteilt. Bei der Bekanntgabe der Nichtberücksichtigung habe Herr E. im Übrigen auch auf ihre familiäre Situation hingewiesen und erklärt, sie habe sich ja „für die Familie” entschieden. Damit sei ein Bezug ihrer familiären Situation zur Stellenbesetzung deutlich.
Demgegenüber hat die Beklagte die Entscheidung für den männlichen Mitbewerber mit dessen erstklassigen Kundenkontakten und mit Proporzgesichtspunkten zwischen den beteiligten Unternehmensbereichen, nämlich S. einerseits und B. andererseits, begründet.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 28. April 2006 dem klägerischen Begehren entsprochen und die Beklagte zur Zahlung von 17.062,00 EUR als Entschädigung gemäß § 611 a Abs. 2 BGB a.F. wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung bei der Beförderung verurteilt. Es ist davon ausgegangen, dass die Klägerin Tatsachen bzw. Indizien glaubhaft gemacht habe, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes vermuten ließen. Sie habe als Direktorin neben ihren beiden männlichen Mitkonkurrenten zu den Anwärterinnen auf die Stelle gehört; wenn ein männlicher Kollege vorgezogen worden sei, liege es nahe, dass das Geschlecht eine Rolle gespielt habe. Sie sei zum Zeitpunkt der Entscheidung auch schwanger gewesen, was bei der Arbeitgeberseite reflexhafte Vorbehalte auslöse. Dies alles reiche aus, um eine Benachteiligung wegen des Geschlechts als wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 48 ff. d.A.) Bezug genommen.
Gegen dieses am 19. Mai 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 19. Juni 2006 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 19. Juli 2006 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Beklagte und Berufungsklägerin vertritt die Auffassung, die Klägerin habe bereits die erste Stufe des maßgeblichen Prüfungsschemas im Sinne von § 611 a BGB a.F. nicht erfüllt, da sie keine hinreichenden Indiztatsachen für eine geschlechtsspezifische Benachteiligung vorgetragen habe. Für die Beförder...