Entscheidungsstichwort (Thema)

Starke Berücksichtigung des zeitlichen Maßes bei Bewertung der Schwierigkeit einer Tätigkeit. Ganzheitliche Betrachtung der Aufgaben als ein Arbeitsvorgang. Keine Rechtfertigung einer Höhergruppierung bei Anteil der schwierigen Tätigkeit von 25%

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tätigkeiten als Beschäftigte in einer Serviceeinheit eines Gerichts stellen nur einen Arbeitsvorgang dar, da die anfallenden Aufgaben "ganzheitlich" zu bearbeiten sind.

2. Die Kombination aus einem großen Arbeitsvorgang in Verbindung mit dem Kriterium, dass schwierige Tätigkeiten innerhalb eines Arbeitsvorgangs nur in einem "rechtlich nicht ganz unerheblichen Ausmaß anfallen" müssen, führt dazu, dass der Wille der Tarifvertragsparteien im Hinblick auf die typischen Tätigkeiten der Beschäftigten in Serviceeinheiten nicht ausreichend berücksichtigt wird.

3. Will man an der bisherigen Rechtsprechung nur geringfügige Veränderungen vornehmen und gleichzeitig den Willen der Tarifvertragsparteien nach einer Hierarchisierung der Vergütung bei den Beschäftigten in Serviceeinheiten berücksichtigen, dann muss von der allgemeinen Regel abgewichen werden, wonach es für eine Höhergruppierung ausreicht, dass auch innerhalb eines großen Arbeitsvorgangs der Anteil der schwierigen Tätigkeiten nur in nicht unerheblichem Umfang vorliegen braucht. Ausnahmsweise ist stattdessen zu verlangen, dass auch innerhalb des Arbeitsvorgangs das Heraushebungsmerkmal der schwierigen Tätigkeit entsprechend der prozentualen Vorgaben der Tarifvertragsparteien vorliegen muss.

 

Normenkette

TVÜ-L § 29a Abs. 1 S. 1; TVL § 12; TV-L Anl. A Teil II Nr. 12.1 EG 6; TV-L Anl. A Teil II Nr. 12.1 EG 8; TV-L Anl. A Teil II Nr. 12.1 EG 9/9a; ArbGG § 72 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.05.2019; Aktenzeichen 56 Ca 15355/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.09.2020; Aktenzeichen 4 AZR 196/20)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Mai 2019 - 56 Ca 15355/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin als Beschäftigte in einer Serviceeinheit eines Gerichtes wegen einer behaupteten fehlerhaften Eingruppierung ab Februar 2018 eine höhere Vergütung hätte gezahlt werden müssen.

Die Klägerin ist ausgebildete Justizangestellte und seit dem 29.08.1991 bei dem beklagten Land anfangs als Maschinenschreiberin, später als Protokollführerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet gemäß § 2 Abs. 1 des Änderungsvertrages vom 03.05.2012 der Angleichungs-TV des Landes Berlin vom 14.10.2010 Anwendung. In § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist ferner geregelt, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass Tarifverträge, die das Land nach dem 01.10.2010 schließt oder denen das Land im Falle eines Eintritts in den Arbeitgeberverband unterworfen ist, die zuvor genannten Arbeitsbedingungen ergänzen, ändern bzw. ersetzen.

Von Januar bis Dezember 2011 nahm die Klägerin an fachtheoretischen Schulungen teil, um den Wissensstand einer ausgebildeten Justizfachangestellten zu erlangen. Von Januar 2011 bis März 2013 erfolgte die berufspraktische Unterweisung an einem Arbeitsplatz einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit. Mit Schreiben vom 08.04.2013 wurde gegenüber der Klägerin festgestellt, dass sie über Fähigkeiten verfüge, die einer Justizfachangestellten gleichwertig seien (Anlage BK 1, Bl. 290f d.A.). Einvernehmlich wurde die Klägerin ab dem 01.04.2013 als Angestellte in Serviceeinheiten bei Gerichten mit Tätigkeiten beschäftigt, die zu einem Fünftel schwierig sind. Sie wurde einer Serviceeinheit in Verkehrsstrafsachen (einschließlich Bußgeldverfahren und Erzwingungshaftsachen) zugeordnet. Sie erhielt eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 6, Fg 2. Die Beschreibung des Aufgabenkreises (BAK) vom 26.05.2010 sieht folgende Aufgaben vor:

Lfd. Nr.

Tätigkeit

Prozentualer Anteil der monatlichen Arbeitszeit

1

Geschäftsstellentätigkeit:

Postbearbeitung, Schriftgutverwaltung, Aussortierungsarbeiten, Aktenverwaltung, Datenpflege

42,49 %

2

Selbstständige Fertigung von Inhaltsprotokollen

6,94 %

3

Kanzleimäßige Erledigung der Verfügungen der jeweiligen Sachbearbeiter, Mitteilung an andere Behörden, selbstständige Fertigung von Maschinenprotokollen

24,87 %

4

Anordnung von Ladungen und Zustellungen, öffentliche Zustellungen

7,42 %

5

Erteilen vollstreckbarer Ausfertigungen und von Teilrechtskraft- und Rechtskraftattesten

4,20 %

6

Aufgaben der Kostenbeamten

5,69 %

7

Aufgaben der Zählkartenordnung

3,63 %

8

Beantwortung von Sachstandsanfragen und Auskunftsersuchen formeller Art

1,24 %

9

Unterschriftsreife Vorbereitung von Verfügungen, Urteilen und Beschlüssen für den jeweiligen Sachbearbeiter

1,62 %

10

Mitteilungen an das Bundeszentralregister, Gewerbezentralregister und das Kraftfahrtbundesamt

0,38 %

11

Mitwirkung bei der Überwachung von Auflagen und Weisungen nach § 153 A Abs. 1 StPO und der Gnadenordnung sowie die Überwachung von Zahlungen bei der Vollstreckung v...

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