Entscheidungsstichwort (Thema)
Günstigkeitsvergleich. Günstigkeitsvergleich zu Arbeitszeit und Entgelt aufgrund arbeitsvertraglich in Bezug genommener Tarifverträge. Feststellungsantrag zur eingeschränkten Anwendbarkeit bestimmter Tarifverträge für die Zeit ab Geltendmachung tariflicher Ansprüche
Leitsatz (amtlich)
Es ist für den Arbeitnehmer günstiger i. S. d. § 4 Abs. 3 TVG, eine kürzere Wochenarbeitszeit zu einem höheren Stundensatz als nach dem Tarifvertrag zu leisten, auch wenn sein Monatseinkommen dadurch insgesamt geringer ausfällt.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 3; BGB §§ 133, 157, 611 Abs. 1; MTV DTAG § 11 Abs. 1; MTV DTTS § 11 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 27.08.2012; Aktenzeichen 18 Ca 4067/12) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des ArbG Berlin vom 27.08.2012 - 18 Ca 4067/12 - teilweise geändert.
2. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen der Tarifverträge der Deutschen T. AG mit Stand 24.06.2007 kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung, soweit sie günstiger sind als die tarifvertraglichen Regelungen der Beklagten.
3. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt 34 Stunden.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 582,11 € brutto (fünfhundertzweiundachtzig 11/100) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 3.677,37 € seit dem 01.01. bis 16.05.2012 und auf 582,11 € seit dem 17.05.2012 zu zahlen.
5. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
6. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 30,43 % und die Beklagte zu 69,57 % zu tragen.
7. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1982 Mitglied der Gewerkschaft ver.di bzw. der DPAG als deren Rechtsvorgängerin. Am 01.09.1986 trat er als Arbeiter in die Dienste einer Rechtsvorgängerin der Beklagten. In seinem Arbeitsvertrag vom 01.02.1991 (Abl. Bl. 23 GA) hieß es:
"Für das Arbeitsverhältnis gelten die für das in Art. 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet vereinbarten Bestimmungen des Tarifvertrages für die Angestellten/Arbeiter*) der Deutschen Bundespost T. (TV Ang. (Ost) bzw. TV Arb (Ost)) und der sonstigen für das genannte Gebiet vereinbarten Tarifverträge für die Angestellten/Arbeiter*) der Deutschen Bundespost T. in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart."
Zum 01.01.1995 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß § 21 Abs. 1 des Gesetzes zum Personalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost (PostPersRG) auf die Deutsche T. AG (DT AG) übergeleitet, die mit ver.di u. a. einen Manteltarifvertrag (Abl. Bl. 256 - 275 GA) und einen Entgeltrahmentarifvertrag (Abl. Bl. 686 - 707 GA) schloss. Am 25.06.2007 ging das Arbeitsverhältnis sodann auf die Beklagte als einer Servicegesellschaft der DT AG über, worüber der Kläger mit Schreiben vom 17.07.2007 (Abl. Bl. 24 - 31 GA) unterrichtet wurde. Unter dem Datum des Betriebsübergangs schloss die Beklagte mit ver.di den MTV DTTS (Abl. Bl. 241 - 255 GA) und den ERTV DTTS (Abl. Bl. 143 - 159 GA), die von den Tarifverträgen der DT AG u. a. bei der Arbeitszeit und dem Entgelt abweichen.
Während der Kläger 2007 bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 34 Stunden ein Einkommen von 40.911,80 € erzielte, belief sich sein Zielentgelt bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden für die Jahre 2011 bis 2013 auf 43.753 €, 44.760 € bzw. 45.700 €.
Mit Schreiben vom 13.11.2011 (Abl. Bl. 63 GA) forderte der Kläger die Beklagte unter Bezugnahme auf eine Reihe von Urteilen des Bundesarbeitsgerichts vom 06.07.2011 auf, auf sein Arbeitsverhältnis wieder die Tarifverträge der DT AG anzuwenden, soweit diese günstiger als die tarifvertraglichen Regelungen der Beklagten seien, insbesondere ihn wieder in der 34-Stunden-Woche zu beschäftigen und die in den letzten sechs Monaten erbrachte Arbeitszeitdifferenz seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die nach Ablehnung der Beklagten erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe ein ihm etwa zustehendes Recht auf Anwendung der Tarifverträge der DT AG (Stand 24.06.2007) verwirkt. Jedenfalls nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren seien keine erhöhten Anforderungen mehr an das sog. Umstandsmoment zu stellen. Der Kläger sei nicht nur über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren nach dem Betriebsübergang und Erhalt des Unterrichtungsschreibens der Beklagten untätig geblieben, sondern habe das Arbeitsverhältnis auf der Basis der Haustarifverträge der Beklagten auch fortwährend aktiv gelebt. Dass die Beklagte den Kläger fehlerhaft unterrichtet habe, stehe nicht entgegen, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie ihn und seine Kollegen wissentlich getäuscht habe.
Gegen dieses ihm am 21.09.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.10.2012, einem Montag, eingelegte und am 21.12.2012 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete B...