Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit von Betriebsvereinbarungen im Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für den Berliner Einzelhandel
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen zulässt.
2. Zwar haben die Tarifvertragsparteien im Manteltarifvertrag für den Berliner Einzelhandel den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen (hier: für die Zahlung eines Weihnachts- und eines Urlaubsgeldes) nicht wörtlich zugelassen. Aus den jeweils unverändert gebliebenen Anrechnungsbestimmungen in § 12 B Nr. 6 folgt aber mit der erforderlichen Eindeutigkeit, dass der Abschluss von Betriebsvereinbarungen über betriebliche Sonderleistungen erlaubt ist.
3. Darüber hinaus können Angelegenheiten, die der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, auch dann durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden, wenn einschlägige tarifliche Regelungen bestehen, die beim Arbeitgebermangels Tarifbindung aber nicht nur normativ gelten.
4. Eine Betriebsvereinbarung wirkt nur dann nicht fort, wenn der Arbeitgeber diese kündigt, um seine finanziellen Leistungen vollständig und ersatzlos einzustellen. Will der Arbeitgeber seine finanziellen Leistungen aber nicht völlig zum Erlöschen bringen, sondern mit der Kündigung einer Vertriebsvereinbarung nur eine Verringerung des Volumens der insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel und zugleich eine Veränderung des Verteilungsplans erreichen, wirkt die Betriebsvereinbarung nach.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1, 1 Nr. 10, § 88; BGB § 288 Abs. 5; TVG § 1; Manteltarifvertrag für den Berlin Einzelhandel § 12 B Nr. 6
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.06.2017; Aktenzeichen 63 Ca 2458/16) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Juni 2016 - 63 Ca 2458/16 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger
6.446,00 EUR (sechstausendvierhundertsechsundvierzig 00/100) brutto
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 1.611,50 EUR seit dem 1. Dezember 2015, auf weitere 1.611,50 EUR seit dem 1. Juni 2016, und auf weitere 1.611,50 EUR seit dem 1. Dezember 2016 sowie auf weitere 1.611.50 EUR seit dem 1. Juni 2017 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere
160,00 EUR (hundertsechzig 00/100)
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 4/10 und die Beklagte zu 6/10.
III. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Vergütungsdifferenzen im Zeitraum von August 2015 bis Mai 2017, auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes für die Jahre 2015 und 2016, Urlaubsgeld für die Jahre 2016 und 2017, um Schadensersatz für eine Fahrkarte für den öffentlichen Personennahverkehr sowie um eine Verzugspauschale in elf Fällen.
Der Kläger ist bei der Beklagten, die einen Einzelhandel für Outdoor- und Reiseequipment betreibt, in deren Niederlassung in Berlin seit dem 7. April 2013, zunächst als Aushilfe und seit dem 21. Juni 2006 als Verkäufer gegen ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 2.578,40 Euro beschäftigt. Sein Gehalt setzt sich zusammen aus einen Grundgehalt in Höhe von 2.364,- Euro, einem übertariflichen Zuschlag in Höhe von 102,26 Euro sowie einem Verkaufszuschlag in Höhe von 112,14 Euro. In dem zuletzt von den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag ist eine am letzten eines Monats fällige Vergütung nach einer Gehaltsgruppe G1-6, eine wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden sowie eine zweistufige Ausschlussfrist mit Fristen von jeweils drei Monaten pro Stufe vereinbart. Unter § 14 Schlussbestimmungen ist folgende Regelung enthalten:
"(...)
Dieser Vertrag ist nur in Verbindung mit der nachfolgenden G.-Berliner-Betriebsvereinbarung gültig.
(...)"
Wegen der weiteren Einzelheiten der Arbeitsbedingungen wird auf den die Parteien verbindenden, zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag vom 24. Juli 2012 (Anlage 2, Bl. 9 - 13 d. A.) verwiesen.
Die im Arbeitsvertrag genannte Betriebsvereinbarung schloss die Beklagte, die bis zum 31. März 2008 dem Landesverband des Hamburger Einzelhandels e. V. angehörte mit dem für den Berliner Betrieb errichteten Betriebsrat mit Wirkung vom 1. März 1997. Die Betriebsvereinbarung wird von folgender Präambel eingeleitet:
"Ziel der Konzeption einer Betriebsvereinbarung war die Schaffung eines Gehalts- und Arbeitszeitsystems, das für jeden Mitarbeiter nachvollziehbar, einsehbar und leistungsgerecht ist. Ferner sollen die gesetzlichen Ladenschlusszeiten des Einzelhandels in gerechte Rahmenbedingungen gefügt werden.
Als Grundlage wurden größtenteils bestehende Vereinbarungen genommen. Der Tarif berücksichtigt die Mindestforderungen des Einzelhandelstarifes in Hamburg, soweit nicht andere Vereinbarungen getroffen werden und diese einen individuellen Leistungsausgleich berücksichtigen (Arbeitsvertrag). Eine Überarbeitun...