Entscheidungsstichwort (Thema)

Freigabe eines Gewerbebetriebes durch den Insolvenzverwalter

 

Leitsatz (amtlich)

Auch nach einer Betriebseinstellung werden die Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der jeweiligen Kündigungsfrist vom VTV Bau erfasst. Dem steht eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nicht entgegen.

 

Normenkette

TVG § 1; InsO § 109 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 28.04.2006; Aktenzeichen 15 Ca 73369/05)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28.04.06 – 15 Ca 73369/05 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die klagende Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe in der Rechtsform des VVaG, die nach näherer Maßgabe der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes ist, nimmt den Beklagten, der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn D. ist, welcher einen Baubetrieb als Einzelunternehmen führte, auf Beitragszahlung für die Zeit vom 19. November 2004 bis einschließlich 15. Januar 2005 in unstreitiger Höhe von insgesamt 1 396,84 EUR in Anspruch.

Der Beklagte hat mit der Insolvenzeröffnung am 19. November 2004 den Geschäftsbetrieb des Gemeinschuldners zum 19. November 2004 eingestellt und die verbliebenen Arbeitnehmer mit einer Frist bis zum 15. Januar 2005 ordentlich gekündigt. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 (vgl. das Schreiben in Kopie Bl. 17 d. A.) hat der Beklagte die „Freigabe” des Gewerbebetriebes erklärt mit dem Beschluss, den Gewerbebetrieb nicht mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse fortzuführen. Der Beklagte ist der Auffassung, dass er spätestens aufgrund dieser Freigabeerklärung nicht mehr für die Beitragszahlungen nach dem VTV hafte.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 28. April 2006 der Klage in Höhe von 1 396,84 EUR stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf verwiesen, dass der Beklagte sich durch Nichtweiterführung des Betriebes nicht der tarifvertraglichen Zahlungspflicht aus §§ 22; 18 Abs. 3 VTV entziehen könne, da er in die Arbeitsverträge des Gemeinschuldners eingetreten sei. Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts Berlin wird auf das Urteil vom 28. April 2006 (Bl. 34-39 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihm am 31. August 2006 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 7. September 2006 eingegangene und zugleich begründete Berufung des Beklagten. Er wiederholt seine Rechtsauffassung I. Instanz und führt diese weiter konkret auch unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. März 2006, welches seine Auffassung teile, aus.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. April 2006 – 15 Ca 73369/05 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist seinerseits auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Juli 1987 (– 4 AZR 150/86 – BAGE 55, 38 ff. = EzA § 3 TVG Nr. 5), welches seine Auffassung und die des Arbeitsgerichts Berlin stütze. Wegen des konkreten Parteivortrags II. Instanz wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 1. September 2006 (Bl. 44 ff. d. A.), 17. November 2006 (Bl. 86 ff. d. A.) und 29. November 2006 (Bl. 97 ff. d. A.) sowie des Klägers vom 9. November 2006 (Bl. 70 ff. d. A.) und 24. November 2006 (Bl. 93 ff. d. A.) verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung des Beklagten jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage stattgegeben, da der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Beiträgen in unstreitiger Höhe für den Zeitraum vom 19. November 2004 bis einschließlich 15. Januar 2005 gemäß §§ 22; 18 Abs. 3 des für allgemeinverbindlich erklärten VTV hat.

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Juli 1987 (a. a. O.), dem die erkennende Kammer folgt, werden auch bei einer Betriebseinstellung alle Arbeitsverhältnisse durch den VTV erfasst, die zum Betrieb vom Beginn seiner Tätigkeit bis zu deren Beendigung bestehen, sodass auch für diejenigen Arbeitnehmer eine Beitragspflicht besteht, denen gekündigt worden ist und die von der Arbeitsleistung freigestellt worden sind. Denn die Tarifvertragsparteien knüpfen für die Beitragspflicht an die zum Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnisse an. Diese werden durch die Insolvenzeröffnung nicht in ihrem Bestand berührt, sondern bestehen bis zu ihrer Beendigung durch den Insolvenzverwalter fort.

2.

Dieser Zahlungspflicht kann sich der Insolvenzverwalter jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem eine Fortführung durch den Gesamtschuldner „auf eigene Faust” weder ersichtlich noch konkret vo...

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