Entscheidungsstichwort (Thema)
Schutz der Meinungsfreiheit eines angestellten Lehrers im außerdienstlichen Bereich
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 128 BPersVG hat der Arbeitgeber dem Personalrat diejenigen Gründe mitzuteilen, die aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss entscheidend sind. Er ist verpflichtet, diesen Sachverhalt unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss entnommen wird, derart zu beschreiben, dass der Personalrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe überprüfen kann. Der Schutzbereich des Art. 5 ABs. 1 S. 1 GG umfasst sowohl sachlich-differenzierte Äußerungen als auch Kritik, welche pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.09.2022; Aktenzeichen 22 Ca 223/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. September 2022 - 22 Ca 223/22 abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen, fristlosen Kündigungen vom 19. August 2021 und 15. Juli 2022 sowie die jeweils hilfsweise dazu ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen nicht aufgelöst worden ist.
- Das beklagte Land wird verurteilt, die Abmahnung vom 13. Januar 2021 ersatzlos aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
II. Auf den Auflösungsantrag des beklagten Landes wird das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 72.275,28 EUR brutto mit Ablauf des 31. März 2022 aufgelöst.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
IV. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 42.160,58 EUR festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher und jeweils hilfsweise ordentlicher Kündigungen vom 19. August 2021 und 15. Juli 2022 sowie die Entfernung einer Abmahnung vom 13. Januar 2021 aus der Personalakte des Klägers.
Der Kläger ist ... Jahre alt, verheiratet und seit dem 29. August 2008 als Lehrkraft, zuletzt am Oberstufenzentrum A im Fach Medienproduktion beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) nebst den diesen ergänzenden Tarifverträgen Anwendung. Der Kläger ist in Entgeltgruppe 13 entsprechend zuletzt 6.022,94 EUR brutto/mtl. eingruppiert. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 TV-L ist der Kläger verpflichtet, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung gewissenhaft und ordnungsgemäß auszuführen. Entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L ist der Kläger verpflichtet, sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen.
Das beklagte Land hat das Arbeitsverhältnis zunächst am 19. August 2021 fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. März 2022 und sodann noch einmal am 15. Juli 2022 fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. März 2023 gekündigt.
Unter dem 13. Januar 2021 wurde der Kläger vom beklagten Land abgemahnt. In dem vierseitigen, einzeilig beschriebenen Text der Abmahnung heißt es auszugsweise:
Ich muss Sie leider wegen des folgenden Vorfalls abmahnen:
1. Veröffentlichung und Bewerbung von verschwörungstheoretischen Inhalten und der Aufforderung an Schülerinnen und Schüler zum Nichtragen einer Maske in Ihrer Funktion als Lehrer
Sie veröffentlichen regelmäßig Video- und Wortbeiträge auf der Internetplattform ... und betreiben zudem unter anderem die Internetseite ...
In diesen Beiträgen treten Sie regelmäßig als "Lehrer aus Berlin" oder Lehrer/Berlin" auf.
Sie warben für Ihre Veröffentlichungen im von Ihnen erteilten Unterricht. Durch Ihre Eigenbezeichnung als "Lehrer in Berlin" und Lehrer am OSZ A" erregt die von Ihnen vertretene Meinung den Anschein, sie würden der Auffassung der Behörde entsprechen, was jedoch nicht der Fall ist.
Ihre Videos tragen Titel wie: "Angies NEO-Faschismus wird in Kürze krachend scheitern", "Maske tragen ist dumm! Ihr werdet krank und Ihr werdet letztlich daran sterben!" und ähnliches. Dies und die sonstigen Inhalte (z.B. "Schülerinnen und Schüler gegen die Maskenpflicht ist eine gute Sache", "Maske tragen ist dumm", "es gibt weit und breit kein Virus - vor was wollen Sie sich schützen") ihrer Veröffentlichungen entsprechen in keiner Weise der Auffassung Ihrer Dienstherrin und widersprechen jeder Hinsicht dem Mäßigungsgebot, welches einer Lehrkraft einer staatlichen Schule obliegt.
Soweit Sie nach Auffassung der Behörde falsche und gefährliche Inhalte verbreiten, die als Meinung der Schule, der Schulbehörde oder der Verwaltung dargestellt werden oder verstanden werden können, ist die Verbreitung Ihrer Auffassung eine Dienstpflichtverletzung und kann nicht hingenommen werden.
Vorzuwerfen ist Ihnen insbesondere, dass Sie für die von Ihnen geäußerten Meinungsbekundungen im Unterricht und im Lehrerzimmer werben.
Ihre Auffassungen sind nicht nur dazu geeignet Schülerinnen und Schüler dazu anzuregen, s...