Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristung. Prognosezeitpunkt
Leitsatz (amtlich)
Bezüglich der vom Arbeitgeber zu erstellenden Prognose, dass im Zeitpunkt des Vertragschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass für die Beschäftigung des Arbeitnehmers über das vereinbarte Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht, genügt es, dass der Arbeitgeber seine ggf. auch erst zu einem späteren Zeitpunkt angestellten (Prognose-)Überlegungen – allerdings bezogen auf die Verhältnisse des Vertragsschlusses und unter Angabe der ihnen zugrunde liegenden Anhaltspunkte – im Rechtsstreit darlegt.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 05.04.2006; Aktenzeichen 86 Ca 16022/05) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.04.2006 – 86 Ca 16022/05 – abgeändert:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristungsabrede in ihrem letzten Arbeitsvertrag.
Der Kläger war seit dem 01.10.1997 auf der Grundlage mehrerer befristeter Arbeitsverträge als Diplom-Lebensmittelchemiker in der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), einer nachgeordneten Behörde des Bundesministeriums für W. und A. der Beklagten, tätig und hier seit dem Jahr 2000 innerhalb der Abteilung IV „Umweltverträglichkeit von Materialen” im Wesentlichen mit der (Fort-)Entwicklung von Prüfverfahren und Durchführung von Messungen bezüglich emissionsarmer Materialien beschäftigt.
In § 1 des von den Parteien zuletzt unter dem 17.06.2003 geschlossenen „Vertrag zur Änderung des Arbeitsvertrages vom 02.03.2000 i. d. F. vom 30.01.2003” heißt es:
„§ 1 des Vertrages wird mit Wirkung vom 1. Juli 2003 wie folgt geändert:
Der Arbeitnehmer wird über den 30. Juni 2003 hinaus als vollbeschäftigter Angestellter auf bestimmte Zeit nach Maßgabe der Sonderregelung für Zeitangestellte (SR 2y BAT) weiterbeschäftigt, und zwar als Angestellter für folgende Aufgaben von begrenzter Dauer:
Entwicklung von Probenahme- und Analyseverfahren für kurzkettige Aldehyde, Säuren und Alkohole in Verbindung mit Emissionsmessungen an Bauprodukten in Emissionskammern sowie Durchführung von Emissionsmessungen für unterschiedliche Produkte im Rahmen des Vorhabens 4260 nach Maßgabe der für diesen Zweck bewilligten Haushaltsmittel.
Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des 30. April 2006, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
In dem in Bezug genommenen Arbeitsvertrag vom 02.03.2000 (Kopie Bl. 14 und 15 d. A.) haben die Parteien vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen bestimmen sollte. Der Abschluss des Arbeitsvertrages vom 17.06.2006 erfolgte, nachdem das Umweltbundesamt (UBA) auf einen entsprechenden Antrag der BAM vom 04.03.2003 (Kopie Bl. 111-126 d. A.) hin mit Schreiben vom 28.03.2003 (Kopie Bl. 58-62 d. A.) für den Zeitraum 01.05.2003 bis 30. 04.2006 Mittel für das Forschungsvorhaben „Umwelt- und Gesundheitsanforderungen an Bauprodukte – Ermittlung der Emission von Bauprodukten durch Prüfkammermessungen und Entwicklungen produktspezifischer Prüfbedingungen für emissionsarme Bauprodukte” bewilligt hatte.
Im Rahmen des Vorhabens 4260 oblag dem Kläger insbesondere die Entwicklung eines Messverfahrens bezogen auf Aldehyde, Säuren und Alkohole (vgl. Tätigkeitsdarstellung und -bewertung vom 26.05.2003, Kopie Bl. 127-131 d. A.). Neben dieser Tätigkeit führte der Kläger eine Reihe weiterer Tätigkeiten durch, deren zeitlicher Umfang, Hintergrund, Veranlassung und Zuordnung zum Vorhaben 4260 und/oder anderen laufenden bzw. beendeten Forschungsvorhaben sowie Dokumentation in den vierteljährlich erstellten Zeiterfassungsblättern zwischen den Parteien heftig umstritten ist. Diesbezüglich – aber auch wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des ansonsten streitigen Vorbringens der Parteien sowie deren unterschiedliche Rechtsansichten in erster Instanz – wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils (Bl. 457-468 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat der vom Kläger bereits am 15. Juli 2005 anhängig gemachten Klage durch ein am 05.04.2006 verkündetes Urteil stattgegeben. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses sei nicht wegen eines projektbedingt vorübergehenden Personalmehrbedarfs i. S. des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG – auf den sich die Beklagte unter Bezugnahme auf die Befristungsgrundform des Angestellten für Aufgaben von begrenzter Dauer (Nr. 1b SR 2y BAT) erstinstanzlich allein berufen hat – sachlich gerechtfertigt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages vom 17.06.2003 tatsächlich nur ein vorübergehender Bedarf an der Leistung des Klägers bestanden habe. Zweifelhaft sei bereits, ob es sich bei den dem Kläger im Zusammenhang mit dem Vorhaben 4260 (Komposit-Baustoffe) übe...