Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Zuge der Insolvenz einer Fluglinie
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Prüfung, ob eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der Betriebsübergangsrichtlinie übergegangen ist, ist zuerst zu prüfen, ob eine bestimmte Einheit als "wirtschaftliche Einheit organisiert war", was Sache des nationalen Gerichts ist. Erst danach schließt sich die Prüfung an, ob die Voraussetzungen für den Übergang einer solchen Einheit erfüllt sind (EuGH 10.12.1998 - verb Rs. C-173/96 u. C-247/96 - Hidalgo u.a. - Rn 28f).
2. Die wirtschaftliche Einheit muss vor dem Übergang insbesondere über eine ausreichende funktionelle Autonomie bezogen auf die Leitung der Arbeitnehmergruppe verfügen (EuGH 06.03.2014 - C-458/12 - Amatori Rn. 31f).
3. Einzelfallentscheidung im Rahmen von ca. 2000 gerichtlich angegriffenen Kündigungen zu den Fragen, ob jedes einzelne Flugzeug, die jeweiligen Abflugstationen oder der Bereich Wet Lease jeweils eine wirtschaftliche Einheit darstellen (verneint).
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 17 Abs. 3; BGB §§ 134, 613a Abs. 4; EGRL 23/2001 Art. 1 Abs. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.07.2018; Aktenzeichen 29 Ca 15925/17) |
Tenor
I. Die Berufungen
des Klägers zu 1) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.7.2018,
Az. 29 Ca 15798/17 und
des Klägers zu 2) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.7.2018,
Az. 29 Ca 15925/17
werden zurückgewiesen.
II. Der Kläger zu 1) und die Kläger zu 2) haben jeweils die Gerichtsgebühren des zweiten Rechtszugs zu tragen, wobei sich die Gebühren nach den Streitwerten des einzelnen Berufungsverfahrens richten.
Der Kläger zu 1) und die Kläger zu 2) tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Sie haben die vor der Verbindung der Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten jeweils nach Maßgabe des Gegenstandswerts des einzelnen Berufungsverfahrens zu tragen. Die nach der Verbindung der Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten haben der Kläger zu 1) zu 60 % und der Kläger zu 2) zu 40 % zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten - wie in ca. 2.000 weiteren Verfahren allein in Berlin - im Kern über die Wirksamkeit einer Kündigung, die auf eine beabsichtigte Betriebsstilllegung gestützt wird. Nach Einlegung der Berufung sind vorliegend zwei Verfahren gemäß § 147 ZPO verbunden worden.
Der Beklagte ist durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg, der am 17.01.2018 veröffentlicht wurde, zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. B. PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in Berlin bestellt worden.
Die Kläger zu 1) und 2) (künftig: die klagenden Parteien) waren seit deutlich mehr als 6 Monaten bei der Schuldnerin in der Funktion als Flugzeugführer beschäftigt.
Bei der Schuldnerin handelte es sich im Jahre 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in Düsseldorf und Berlin-Tegel hauptsächlich Ziele überwiegend in ganz Europa anflog. Sie beschäftigte nach Angaben des Beklagten mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Das fliegende Personal der Schuldnerin war in Deutschland an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf, München, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart, Leipzig, Köln, Hamburg und Paderborn stationiert.
Die Schuldnerin nutze für den Flugbetrieb ausschließlich geleaste Flugzeuge, nach ihren Angaben insgesamt 132 zum Stichtag 12.10.2017. Sie war weiterhin alleinige Eigentümerin des österreichischen Flugbetriebs N. L. GmbH mit Sitz in Wien, welche 21 Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge der A 320-Familie betrieb.
Seit dem Jahr 2016 unterhielt die Schuldnerin nicht mehr ausschließlich einen eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb, sondern war auch im sog. "Wet-Lease" für die E. GmbH (im Folgenden: E.), einer 100 %-igen Tochter der Deutschen L. AG, sowie die Deutsche L. AG (im Folgenden: L.) tätig. Beim Wet-Lease, bei der Schuldnerin auch als ACMIO bezeichnet, stellt eine Fluggesellschaft einer anderen Fluggesellschaft ein Flugzeug mit Cockpit-Crew, Kabinenpersonal, Wartung und Versicherung bereit.
Um eine Flugstrecke am Markt anbieten zu können, benötigt eine Fluggesellschaft so genannte "Slots", d.h. "Zeitnischen" im Sinne der VO (EWG) Nr. 95/93. Hierbei handelt es sich um das Recht, an einem Flughafen, dessen Kapazitäten eine entsprechende Koordinierung erforderlich machen, an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit zu starten oder zu landen. Es handelt sich dabei um öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte.
Der gesamte Flugbetrieb wurde zentral in Berlin geplant. Dies betraf den Einsatz von Maschinen und Personal, den saisonalen und monatlichen Flugplan, aber auch Entscheidungen bei kurzfristigen Ausfällen.
Für die Piloten wurde gemäß § 117 Absatz 2 BetrVG auf Basis des "Tarifvertrags Personalvertretung für das Cockpitperson...