Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Verdachtskündigung ist zunächst zu prüfen, ob sich aus den Darlegungen des Arbeitgebers ein dringender Verdacht auf eine in ihren Einzelheiten gekennzeichnete Straftat oder vergleichbare Pflichtwidrigkeit im Sinne eines konkreten Handlungsablaufs schlüssig ergibt. Im folgenden Schritt ist dann zu prüfen, ob die diesbezüglich vom AG benannten
2. Wird der AN zur Teilnahme an einem Anhörungsgespräch zu einer Verdachtskündigung unter dem Vorwand bestimmt, es handele sich um ein Gespräch über die Übernahme zusätzlicher Schichten, so ist die für die Wirksamkeit der Verdachtskündigung konstitutive Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt und demzufolge die Kündigung unwirksam.
3. Eine Anhörung ist auch dann nicht ordnungsgemäß, wenn sie unter Umständen (Räumlichkeiten, anwesende Personen etc) stattfindet, die dem Charakter der Anhörung (u.a. Entlastungsmöglichkeit des AN) nicht entsprechen.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 15.07.2010; Aktenzeichen 8 Ca 506/10) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Oder vom 15.07.2010 – 8 Ca 506/10 – geändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 01.04.2010 nicht aufgelöst worden ist, sondern bis zum 07.05.2010 fortbestanden hat.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Verdachtskündigung, die die Beklagte, ein Klinikbetrieb, am 01.04.2010 gegenüber dem seit dem 08.05.2008 – befristet bis zum 07.05.2010 – als Logistikführer/Fahrer im Begleitdienst für Patienten beschäftigten Kläger, der 1985 geboren, ledig und gegenüber einem Kind unterhaltspflichtig ist, ausgesprochen hat.
Dem liegt zugrunde, dass der Kläger am 25.03.2010 als Begleitdienst die Patientin M. gegen 18:30 Uhr von deren Station zur Untersuchung zum MRT-Bereich transportiert hat. Während dieses Transportes kam es zu einem Gespräch zwischen der Patientin und dem Kläger, im Verlaufe dessen beide zur „Du-Anrede” übergingen. Von wem die Initiative hierzu erfolgte, ist streitig. Nachdem der Kläger die Patientin in den MRT-Bereich verbracht hatte, führte er weitere ihm übertragene Aufgaben durch. Zu einem späteren Zeitpunkt kam er erneut am MRT-Bereich vorbei – nach eigenen Angaben, weil dies der kürzeste Weg zurück zur Station gewesen sei – und beobachtete, wie eine Krankenschwester die Patientin M. beim Gehen unterstützte. Er seinerseits trat hinzu, ergriff den Arm der Patientin M. und führte diese zusammen mit der Krankenschwester in den entsprechenden Bereich. Gegen 21:00 Uhr transportierte er die Patientin M. aus dem MRT-Bereich zurück auf die Station. Die Umstände des Zurückbringens der Patientin in ihr Zimmer sind zwischen den Parteien streitig. Am Folgetage, dem 26.03.2010, berichtete die Patientin M. der diensthabenden Krankenschwester, dass der Kläger sie während des Transportes sexuell belästigt und schließlich im Bereich des Zimmers versucht habe, sie zu umarmen und zu küssen. Diese berichtete hierüber dem Logistikleiter der Beklagten, der seinerseits die Patientin anhörte und deren Schilderung für glaubhaft erachtete. Am 27.03.2010 kündigte der Logistikführer telefonisch gegenüber dem Kläger einen Besuch bei diesem zu Hause an, wobei er ihm mitteilte, dass es darum gehe, dass der Kläger einen außerplanmäßigen Dienst wahrnehmen müsse. Der Kläger wurde schließlich in der Wohnung seiner Freundin angetroffen und von dem Regionalleiter Logistik, Herrn U. und dem Objektleiter Logistik, Herrn S. mit den Vorwürfen konfrontiert. Beide Beschäftigten der Beklagten erstellten hierüber ein Protokoll und erteilten dem Kläger Hausverbot, hinsichtlich dessen der Kläger die Kenntnisnahme durch Unterschrift bestätigte. Der Kläger setzte auf das Formular des schriftlich erteilten Hausverbots handschriftlich die Ergänzung, dass er mit einem Aufhebungsvertrag mit sofortiger Wirkung einverstanden sei. Der exakte Verlauf des Anhörungsgesprächs ist zwischen den Parteien streitig.
Am 30.03.2010 erstatteten sowohl die Beklagte als auch die Patientin M. Strafanzeige gegenüber dem Kläger. Am 31.03.2010 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung des Klägers wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung der Patientin M. schriftlich an (Bl. 57 ff. d. A.). Der Betriebsrat faxte eine Kopie des Anhörungsschreibens am 01.04.2010 um 12:40 Uhr mit dem Bemerken zurück: „Der Betriebsrat wird keine Stellungnahme abgeben”. Die Bemerkung ist von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet. Noch am gleichen Tage ließ die Beklagte dem Kläger eine fristlose Kündigung zugehen.
Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht Frankfurt/Oder am 16.04.2010 eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung und stellt dabei die ihm...