Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristbeginn für Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 1 BGB. Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Zwei-Komponenten-Theorie bei der Verwirkung. Annahmeverzug des Arbeitgebers bei Leistungsangebot des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitnehmer kann gem. § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB schriftlich widersprechen. Diese Frist beginnt erst mit dem Zugang einer ordnungsgemäßen Information i.S.d. § 613a Abs. 5 BGB zu laufen.
2. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung.
3. Die Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner bereits dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger seine Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment).
4. Der Arbeitgeber kommt mit der Vergütungszahlung gemäß § 293 BGB in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung grundsätzlich tatsächlich anbieten, um den Verzug des Arbeitgebers auszulösen (§ 294 BGB). Ein nur wörtliches Angebot des Arbeitnehmers (§ 295 BGB) genügt nur dann, wenn der Arbeitgeber ihm zuvor erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder er sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen.
Normenkette
BGB §§ 242, 293-296, 613a Abs. 5-6
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 26.05.2021; Aktenzeichen 6 Ca 1054/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. Mai 2021 - 6 Ca 1054/20 teilweise abgeändert.
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 30. April 2021 fortbestanden hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
• 1.763,18 EUR brutto abzüglich 978,42 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. September 2020 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Oktober 2020 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. November 2020 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Dezember 2020 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Januar 2021 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Februar 2021 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. März 2021 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. April 2021 zu zahlen.
• 2.300 EUR brutto abzüglich 1.301,10 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Mai 2021 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.431,98 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab dem 1. August 2021 zu zahlen.
4. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 94% und der Kläger zu 6%.
III. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 19.418,18 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.4.2021 sowie Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug.
Der Kläger ist 59 Jahre alt (geb. .... 1962) und war bei der Beklagten mit einer anerkannten Betriebszugehörigkeit seit dem 2. Oktober 2003 bei der Beklagten zunächst als Einrichtungsberater, später als Hausleiter zu einem Bruttogrundgehalt von monatlich 2.300,00 EUR beschäftigt. In dem zuletzt unter dem...