Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung wegen unterbliebenem Hinweis auf einen Fehler im Zeiterfassungssystem. Rücksichtnahmepflicht. Interessenabwägung. Abmahnung. Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Unterlassens eines Hinweises des Arbeitnehmers auf einen Fehler im Zeiterfassungssystem

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Unterlässt ein Arbeitnehmer es, den Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass die Anwesenheitszeiten in der Zeiterfassung nicht korrekt erfasst werden und kommt es zu erheblichen Fehlstunden, so reicht dies zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht aus. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer das Zeiterfassungssystem nicht selbst manipuliert oder die Dokumentation gefälscht hat.

2. Ein solches Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigt auch nicht eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr ist der Arbeitnehmer zunächst durch eine Abmahnung zu vertragstreuem Verhalten anzuhalten.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 17.11.2011; Aktenzeichen 58 Ca 7742/11)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.11.2011 - 58 Ca 7742/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Die Klägerin ist auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 01.04.1990 (Bl. 20 - 22 d. A.) bei der Beklagten als Sozialversicherungsangestellte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin finden die Tarifverträge für die Deutsche Rentenversicherung Bund Anwendung, wonach die Klägerin ordentlich unkündbar ist.

Gemäß der "Dienstvereinbarung über die Serviceorientierte Arbeitszeit vom 24.11.2004" (Ablichtung Bl. 35 ff. d. A.) konnte die Klägerin Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit innerhalb eines dort festgelegten Arbeitszeitrahmens selbst bestimmen. Für die Ermittlung der jeweilige Anwesenheitszeiten waren gemäß der "Dienstvereinbarung über die Erfassung der Anwesenheitszeit mit dem Gebäudesicherungssystem vom 24.11.2004" (Ablichtung Bl. 32 ff. d. A) die "Kommen"- und "Gehen"-Zeiten mit einem Zeiterfassungsgerät zu erfassen, das anhand dieser Daten zugleich das jeweilige Zeitsaldo (Zeitguthaben/Zeitschuld) ermittelte.

Nach einer längeren Erkrankung nahm die Klägerin vom 03.11.2008 bis zum 31.05.2009 an einer Wiedereingliederungsmaßnahme im Hamburger Modell teil, während derer sie zwar die Arbeitszeiterfassung nutzen musste, das System jedoch so eingestellt war, dass eine Saldierung der Anwesenheitszeiten nicht stattfand. Nach Wiederaufnahme ihrer regulären Arbeit am 01.06.2009 unterließ die Beklagte versehentlich die Umstellung des Systems auf eine Saldierung der Anwesenheitszeiten der Klägerin. In der Folgezeit wurden zwar die "Kommen"- und "Gehen"- Zeiten der Klägerin erfasst, ein Zeitsaldo indes nicht ermittelt. Die der Klägerin monatlich übersandten Anwesenheitsspiegel wiesen zunächst noch ein aus der Zeit vor dem Hamburger Modell resultierendes Zeitminus von 46,09 Stunden aus, nach Verrechnung mit sechs Tagen Urlaub ein kontinuierliches Plus von 39 Minuten. Tatsächlich aber errechnete sich aus den erfassten Zeiten bis zum 31.12.2012 ein Minus von 391 Stunden und 44 Minuten. Für die Einzelheiten der Anwesenheitszeitspiegel und des von der Beklagten manuell errechneten Saldos wird auf die Ablichtungen Bl. 42 - 61 d. A. Bezug genommen.

Ende Januar 2011 veranlasste die Koordinatorin des inneren Dienstes bei der Personalverwaltung eine Prüfung der Arbeitszeiterfassung für die Klägerin, bei der die fehlende Saldierung festgestellt und rückwirkend ab dem 01.01.2011 korrigiert wurde. Auf die fehlende Saldierung in den Anwesenheitsspiegeln angesprochen behauptete die Klägerin, sie habe dies nicht bemerkt und die Anwesenheitsspiegel ungelesen weggeworfen.

Nach Auswertung der von der Klägerin nochmals beschafften Arbeitszeitbögen, informierte die Koordinatorin die Personalabteilung mit Schreiben vom 18.04.2011 (Bl. 62 d. A.), dort eingegangen am 27.04.2011, über den von ihr ermittelten Sachverhalt. Mit Schreiben vom 28.04.2011 (Bl. 63 und 64 d. A.) hörte die Personalabteilung die Klägerin zu dem Vorwurf der Täuschung über das wöchentliche Arbeitssoll und der Verursachung eines nicht unerheblichen Vermögensschadens an. Da die Klägerin um ein Gespräch bat, fand am 02.05.2011 eine mündliche Anhörung der Klägerin statt, in der diese eine Kenntnis von einem etwaigen Zeitminus verneinte und anbot, die Minusstunden durch Urlaub und Lohnverzicht auszugleichen.

Mit Schreiben vom 09.05.2011 (Ablichtung Bl. 67 - 68 d. A.) hört die Beklagte den bei ihr bestehenden Personalrat zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Personalrat widersprach dem mit Schreiben vom 12.05.2011 (Ablichtung Bl. 72 - 74 d. A.), w...

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