Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmender Einfluss beliebiger Art als Merkmal eines beherrschenden Unternehmens. Inhalt und Grenzen des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat vor Ausspruch von Massenentlassungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein beherrschendes Unternehmen im Sinne von § 17 Abs. 3a KSchG ist schon gegeben, wenn eine rechtliche Verbindung beliebiger Art einen bestimmenden Einfluss ermöglicht.
2. Der Informationsanspruch des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG ist nicht begrenzt, bestimmt sich aber nach dem Gang der Konsultationen.
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 2, 3a; EGRL 59/98 Art. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.01.2016; Aktenzeichen 24 Ca 2620/15) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. Januar 2016 - 24 Ca 2620/15 - wird zurückgewiesen, soweit nicht bereits durch Teilurteil anders entschieden worden ist.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen bei einem Gesamtgebührenwert von 61.978,08 EUR die Klägerin zu 93 % und die Beklagte zu 7 %. Die Kosten des Verfahrens C-61/17 vor dem Europäischen Gerichtshof trägt die Klägerin.
III. Der Gebührenwert dieses Schlussurteils wird auf 45.000,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer (zweiten) betriebsbedingten Kündigung und hilfsweise um einen Nachteilsausgleich.
Die Klägerin ist 50 Jahre alt (geb. .... 1968) und war mit einer Betriebszugehörigkeit seit dem 1. Mai 1988 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Angestellte im Bereich Fluggastabfertigung auf dem Flughafen Berlin-Tegel in Vollzeit mit einem Bruttomonatseinkommen in Höhe von ca. 3.000 EUR beschäftigt. Die Klägerin war freigestelltes Betriebsratsmitglied.
In der Vergangenheit hatte die G. Berlin GmbH & Co. KG (GGB) sämtliche Vorfeld- und Passagedienstleistungen an den Flughäfen Tegel und Schönefeld erbracht. Die GGB wurde im Jahre 2008 durch die W.-Gruppe erworben. Die W.-Gruppe besteht aus der A. Holding AG mit dem Vorstand Michael C. W. und mindestens den Geschäftsbereichen Facility Service (W. F. S. Holding GmbH), Industrie Service (W. I. S. Holding GmbH) und Aviation Service (W. A. Service Holding GmbH).
In den Jahren 2011/2012 erfolgten eine organisatorische und eine rechtliche Trennung der verschiedenen Geschäftsbereiche der GGB in Passage bzw. Passagierabfertigung, Rampe bzw. Vorfeld, Verwaltung und Werkstatt. Während die Verwaltung bei der GGB verblieb, wurde der Bereich Werkstatt von der W. A. Werkstatt Service Berlin GmbH & Co. KG (AWSB), der Bereich Rampe bzw. Vorfeld von der AGSB A. G. Berlin GmbH & Co. KG und der Betrieb Passage bzw. Passagierabfertigung von der Beklagten (APSB) fortgeführt. Die betreffenden Arbeitsverhältnisse - darunter das der Klägerin - gingen im Mai 2012 im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese spaltete ihren Betrieb im Jahr 2014 in die Betriebsteile Tegel und Schönefeld auf und übertrug den Bereich der Passagierabfertigung des Betriebsteils Schönefeld auf eine neu gegründete Gesellschaft. Die Arbeitsverhältnisse der am Flughafen Tegel beschäftigten Arbeitnehmer verblieben überwiegend bei der Beklagten, die zuletzt etwa 190 Arbeitnehmer beschäftigte. Ob im Jahre 2013 sämtliche Aufträge von der GGB in die W. C. GmbH & Co. KG transferiert wurden oder ob dieses nur zu ca. einem Drittel geschah, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls beschäftigte die GGB spätestens Ende 2013 keine Arbeitnehmer mehr.
Einzige Auftraggeberin sowie einzige Kommanditistin und in der Gesellschafterversammlung allein stimmberechtigte Gesellschafterin der Beklagten ist die GGB. Deren Kommanditanteile wurden von einem Unternehmen der sog. W.-Gruppe gehalten. Komplementärin der GGB ist die G. Berlin B. GmbH. Deren Gesellschafter sind mit Herrn B. A. einerseits und den Rechtsanwälten Herrn Geno Biere und Herrn Dr. M. Sch. andererseits jeweils natürliche Personen. Die Beklagte gehört deshalb rechtlich weder zum Konzern der GGB noch zum W.-Konzern. Nach dem in der Berufungsverhandlung am 20. Dezember 2018 von der Beklagten bestrittenen Vortrag sind Herr B. und Herr Dr. Sch. durch Treuhandverträge mit der W.-Gruppe bzw. anderen W.-Unternehmen bzw. Herrn Michael C. W. verpflichtet, ihre Gesellschafterstellung auf Anweisung und im Sinne der W.-Gruppe auszuüben.
Auf die Arbeitsverhältnisse mit der GGB fanden zunächst deren Vergütungstarifverträge Anwendung. Im September 2013 traten allgemeinverbindliche Tarifverträge für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg in Kraft, die deutlich niedrigere Entgelte vorsahen. Für die von der GGB übernommenen Altbeschäftigten vereinbarte die Beklagte einen Überleitungstarifvertrag, der einen Ausgleich der Differenzvergütung über eine Besitzstandszulage vorsieht.
Im September 2014 kündigte die GGB sämtliche der Beklagten erteilten Aufträge spätestens zum 31. März 2015. Die Gesellschafterversammlung der Beklagten wies daraufhin den Geschäftsführer der Komplementärin a...