Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzurlaub. Werkstatt für Behinderte
Leitsatz (amtlich)
In einer Werkstatt für Behinderte hat der Arbeitgeber bei der Gewährung des Zusatzurlaubs nach § 125 SGB IX zwischen den behinderten und den schwerbehinderten Werkstattbeschäftigten zu differenzieren.
Normenkette
SGB IX § 125
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 09.08.2006; Aktenzeichen 77 Ca 24179/05) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.08.2006 – 77 Ca 24179/05 – abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 35 Tage bezahlten Urlaub im Jahr zu gewähren.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gewährung des Zusatzurlaubs nach § 125 SGB IX für den in einer Werkstatt für Behinderte tätigen Kläger.
Der schwerbehinderte Kläger ist 49 Jahre alt (… 1957) und seit dem 21. März 2004 bei der Beklagten aufgrund eines Werkstattvertrages vom 6. Februar 2004 beschäftigt. In diesem Werkstattvertrag ist u.a. geregelt, dass der Mitarbeiter Anspruch auf derzeit 30 Tage Erholungsurlaub besitze und dabei der Anspruch nach § 47 SchwBG bereits berücksichtigt sei. (§ 47 SchwBG wurde am 1. Juli 2001 von § 125 SGB IX abgelöst).
In einem Schreiben des für den Kläger zuständigen Bezirksamtes vom 4. April 2005 hat dieses ausgeführt, dass bei der Berechnung des Kostenbeitrags für das Mittagessen in einer teilstationären Einrichtung eine Berechnungsformel angewandt worden sei, die von 254 Arbeitstagen, 35 Urlaubstagen und 15 Krankheitstagen ausgehe.
Der Kläger hat bestritten, dass Beschäftigte der Werkstatt, die keinen Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX hätten, weniger als 30 Urlaubstage erhalten würden.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass im Werkstattbereich ausschließlich schwerbehinderte Menschen oder diesen Gleichgestellte im Rahmen von bezuschussten Eingliederungsmaßnahmen tätig seien. Mit diesen sei der Kläger vergleichbar und werde gleich behandelt. Auf die Arbeitsverhältnisse der in der Verwaltung und als Betreuer tätigen Mitarbeiter werde der BMT-AW II angewendet. Mit diesen Arbeitnehmern sei der Kläger nicht vergleichbar.
Die Beklagte beschäftige ausschließlich solche Personen im Rahmen von Eingliederungsmaßnahmen in der Werkstatt, für die die zuständigen Sozialleistungsträger die Betreuungskosten für die Eingliederungsmaßnahmen übernähmen. Das sei wiederum nur bei objektiv schwerbehinderten Personen der Fall.
Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit am 9. August 2006 verkündetem Urteil abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass Ausgangspunkt für die Berechnung des Urlaubs der Urlaubsumfang nicht schwerbehinderter Menschen in gleicher Lage sei. Dieses seien hier aber nur die in der nach §§ 136 SGB IX in der Werkstatt Beschäftigten. Wenn dann für alle vergleichbaren Mitarbeiter der Zusatzurlaub in den Jahresurlaub eingerechnet werde, weil man davon ausgehe, dass alle einen entsprechenden Anspruch besäßen, sei das nicht zu beanstanden. Sofern die Annahme der Beklagten, dass sie nur schwerbehinderte Menschen in der Werkstatt beschäftige, im Einzelfall falsch sei, ändere das nichts an der Natur des Zusatzurlaubs. Es handele sich nicht um die Anrechnung auf freiwilligen Urlaub, sondern nur um die Inkaufnahme der Gewährung von zu viel Urlaub. Das Schreiben des Bezirksamtes sei ohne Belang. Das Arbeitsgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Gegen dieses dem Kläger am 19. September 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Oktober 2006 Berufung eingelegt und diese am 1. November 2006 begründet.
In der Berufungsbegründung führt der Kläger aus, dass er es nicht für ausreichend erachte, wenn die Beklagte pauschal davon ausgehe, nur schwerbehinderte Menschen als Werkstattmitarbeiter zu beschäftigen, ohne sich die Schwerbehinderung von jedem einzelnen Mitarbeiter nachweisen zu lassen. Dass das Arbeitsgericht angenommen habe, dass die Zuvielgewährung von Urlaub im Einzelfall unerheblich sei, sei ein Verstoß gegen § 125 SGB IX. Das Gericht habe sich auch nicht mit dem Schreiben des Bezirksamtes auseinandergesetzt.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. Oktober 2006 – 77 Ca 24179/05 – abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 35 Tage bezahlten Urlaub im Jahr zu gewähren.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In der Berufungserwiderung wiederholt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag. Auch handele es sich nur um die Inkaufnahme der Gewährung von zu viel Urlaub, wenn im Einzelfall ein Werkstattmitarbeiter doch nicht schwerbehindert sein sollte.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung vo...