Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung einer ausgelobten Streikbruchprämie auch an am Streik beteiligter Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Auslobung einer Streikbruchprämie stellt ein arbeitskampfrechtlich zulässiges Mittel dar, Arbeitnehmer trotz Streikaufruf zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung anzuhalten.
2. Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, die Streikbruchprämie auch an am Streik beteiligte Arbeitnehmer zu zahlen. Dies stellt insbesondere keine unzulässige Maßregelung i.S. von § 612a BGB dar.
Normenkette
ÄndTV/TV-N Brandenburg § 5; BGB § 612a; TVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Eberswalde (Entscheidung vom 17.03.2016; Aktenzeichen 3 Ca 894/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17.03.2016 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde - 3 Ca 894/15 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Zulage, die die Beklagte während des Arbeitskampfes Arbeitnehmern für die Nichtbeteiligung am Streik zugesagt und gewährt hat (sog. Streikbruchprämie).
Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Brandenburg (TV-N BRB) Anwendung. Nachdem in der Entgeltrunde 2015 die Tarifverhandlungen zunächst gescheitert waren, rief die Gewerkschaft ver.di im Frühjahr 2015 zu Streikmaßnahmen auf. Im Zuge dieser Streikmaßnahmen wurde im Zeitraum zwischen dem 27.04.2015 und dem 10.05.2015 auch der Betrieb der Beklagten bestreikt.
Mit Aushang der Geschäftsleitung der Beklagten (Bl. 7 d.A.), der am 27.04.2015 am schwarzen Brett im Betrieb der Beklagten erfolgte, sagte die Beklagte wie folgt ua. eine Zahlung zu:
"Darüber hinaus werden wir während des Streiks den Arbeitnehmern welche sich nicht am Streik beteiligen eine Streikbruchprämie von 30 € pro Tag zahlen."
Der Kläger nahm am 28., 29., 30.04.2015 sowie 04., 05., 06., 07 und 08.05.2015 an dem Streik teil.
Nachdem die Arbeitskampfmaßnahmen mit Ablauf des 10.05.2015 endeten, kam es zum Abschluss des "Änderungstarifvertrages Nr. 5 zum Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Brandenburg (TV-N BRB) - 5. ÄndTV/TV-N BRB - (im Folgenden: Änderungstarifvertrag), der das Datum des 12.05.2015 trägt (Bl. 6 d.A.). Darin heißt es ua.:
"§ 2 Maßregelungsverbotsverzicht
Von arbeitsrechtlichen Maßnahmen (Abmahnungen, Entlassungen, o.ä.) aus Anlass gewerkschaftlicher Streiks, die bis einschließlich 10. Mai 2015, 24 Uhr durchgeführt wurden, wird abgesehen, wenn sich der Teilnehmer an den Streiks im Rahmen der Regelungen für rechtmäßige Arbeitskämpfe gehalten hat."
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte auf Grundlage der Bestimmung in § 2 des Änderungstarifvertrages zur Zahlung der Prämien für 8 Tage iHv. 240 € (8 x 30 €) nebst Prozesszinsen verpflichtet sei.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte verurteilen, an den Kläger 240 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.12.2015 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist dem Begehren des Klägers entgegengetreten, denn weder nach dem Wortlaut des Änderungsvertrages noch nach dem Gang der Verhandlungen komme die Zahlung der Prämie für Teilnehmer des Streiks in Betracht.
Mit Urteil vom 17.03.2013 hat das Arbeitsgericht Eberswalde der Klage in dem zuletzt noch aufrechterhaltenen Umfang stattgegeben. Der Anspruch könne zwar nicht aus dem gesetzlichen Maßregelungsverbotes im Sinne des § 612a BGB hergeleitet werden. Allerdings ergebe die Auslegung des § 2 des Änderungstarifvertrages wegen des dortigen Maßregelungsverzichts, dass die Beklagte verpflichtet sei, die vorgenommene Differenzierung zwischen streikenden und nicht streikenden Arbeitnehmern bzgl. der in arbeitskampfrechtlich zulässiger Weise ausgelobten Prämie aufzuheben.
In § 2 des Änderungsvertrages hätten die Parteien einen Maßregelungsverzicht aus Anlass der Streikteilnahme vereinbart. Der Bedeutungsgehalt des Begriffs Maßregelung sei weit gefasst. Dies folge aus dem Zweck eines derartigen Verbots, dass der Wiederherstellung des Arbeitsfriedens nach Beendigung des Arbeitskampfes diene. Es solle nicht die Scheidung der Belegschaft in streikende und nicht streikende Arbeitnehmer über das Ende des Arbeitskampfes hinaus fortgeschrieben werden. Dass die Tarifvertragsparteien den umfassenden Bedeutungsgehalt des Begriffs Maßregelung auf einen Teilbereich möglicher Maßregelungen einschränken wollten, sei nicht erkennbar. Auch der Klammerzusatz "(Abmahnungen, Entlassungen, o.ä.)" spreche nicht dafür. Denn die in diesem Zusatz aufgeführten Maßnahmen seien bei einem rechtmäßigen Streik unwirksam, die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik berechtigten den Arbeitgeber nicht zur Kündigung des Arbeit...