Entscheidungsstichwort (Thema)
Diskriminierung. Geschlecht. statistischer Nachweis. Einwendungen. Schadenshöhe. Persönlichkeitsrechtsverletzung. Mobbing
Leitsatz (amtlich)
1. Als Indiz für eine Geschlechtsdiskriminierung bei einer Beförderung auf einen Führungsposten (hier Personalleiter eines Unternehmens mit über 1.100 Beschäftigten) kann insbesondere auch eine Statistik über die Geschlechtsverteilung auf den einzelnen Hierarchieebenen herangezogen werden.
2. Statistische Nachweise müssen schon deswegen berücksichtigungsfähig sein, da anderenfalls eine verdeckte Diskriminierung bei Beförderungen „gläserne Decke”) nicht ermittelbar wäre.
3. Sind alle 27 Führungspositionen nur mit Männern besetzt, obwohl Frauen 2/3 der Belegschaft stellen, ist dies ein ausreichendes Indiz im Sinne von § 22 AGG.
4. In der zweiten Prüfungsstufe kann der Arbeitgeber sich regelmäßig nur auf diejenigen Tatsachen zur sachlichen Rechtfertigung der Beförderungsentscheidung berufen, die er zuvor im Auswahlverfahren nach Außen ersichtlich hat werden lassen.
5. Erfolgt die Auswahl ohne eine Stellenausschreibung oder sonstige schriftlich dokumentierte Auswahlkriterien, kann der Arbeitgeber regelmäßig mit seinen Einwendungen nicht gehört werden.
6. Dies gilt auch für den Einwand des Arbeitgebers, die klagende Arbeitnehmerin sei nicht die bestgeeigneteste Kandidatin gewesen.
7. Der nach § 15 Abs. 1 AGG zu leistende materielle Schadensersatz ist die Vergütungsdifferenz zwischen der tatsächlich erhaltenen und der Vergütung, die auf der höherwertigen Stelle gezahlt wird.
8. Dieser materiellrechtliche Schadensersatzanspruch ist zeitlich nicht begrenzt (a. A.: hL). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen zu Art. 33 Abs. 2 GG.
9. Eine geschlechtsdiskriminierende Beförderungsentscheidung ist immer auch eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung, so dass wegen des immateriellen Schadens eine Entschädigung verlangt werden kann.
10. Beruft sich eine Arbeitnehmerin auf vermeintliche Rechte nach dem AGG und wird ihr dann durch Führungskräfte u. a. nahe gelegt, über ihre berufliche Zukunft nachzudenken, ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen einzuhalten, obwohl keine Pflichterletzungen vorlagen, künftig per Videoschaltung an Konferenzen teilzunehmen, obwohl dies für andere Arbeitnehmer mit gleichem Anfahrtsweg nicht gilt, sich zu überlegen, ob sie einen lang dauernden Prozess gesundheitlich durchstehe, dann liegt hierin ein herabwürdigendes und einschüchterndes Vorgehen, das ebenfalls eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt.
11. Dies gilt umso mehr, wenn diese Handlungen durch den Personalleiter (den vorgezogenen Konkurrenten) den Justitiar (und ehemaligen vorgesetzten Personalleiter) und ein Mitglied des Vorstands erfolgen.
12. Diese Personen sind Organe des beklagten Vereins (§§ 30, 31 BGB).
Leitsatz (redaktionell)
Hinweis: Es handelt sich um ein das Verfahren beendendes Schlussurteil. Unter dem 30. Juli 2008 war ein Teilurteil ergangen, mit dem Ansprüche wegen unterschiedlicher Bezahlung für die Zeit vom 1.1.2000 bis 9.10.2006 abgewiesen wurden.
Normenkette
AGG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1 S. 1, § 15 Abs. 1-2, § 22; GG Art. 1-2; BGB § 823
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 30.01.2008; Aktenzeichen 35 Ca 7441/07) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.01.2008 – 35 Ca 7441/07 – teilweise abgeändert:
- Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28.214,66 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 2.911,56 EUR ab dem 14.05.2007, auf 727,89 EUR ab dem 01.06.2007, auf 1.419,39 EUR seit dem 01.07.2007, auf jeweils 459,76 EUR seit dem 01.08.2007, 01.09.2007, 01.10.2007, 01.11.2007, auf 896,53 EUR seit dem 01.12.2007, auf 459,76 EUR seit dem 01.01.2008, auf jeweils 1.467,86 EUR seit dem 01.02.2008, 01.03.2008, 01.04.2008, 01.05.2008, 01.06.2008, auf 2.862,33 EUR seit dem 01.07.2008 und auf 1.467,86 EUR seit dem 01.08.2008 zu zahlen.
- Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin in Zukunft über das bezogene Gehalt hinaus monatlich weitere 1.467,86 EUR brutto zu zahlen.
- Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 20.000,00 EUR zu zahlen.
- Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über die Höhe des Herrn R. gezahlten variablen Entgelts für das laufende Jahr, jeweils bis zum Ablauf des I. Quartals im Folgejahr, beginnend mit dem 31.03.2009, Auskunft zu erteilen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz haben die Klägerin zu 86 % und der Beklagte zu 14 % zu tragen. Von den Kosten der zweiten Instanz tragen die Klägerin 62 % und der Beklagte 38 %.
IV. Für den Beklagten wird die Revision zugelassen, bezüglich der Entschädigungszahlung in I.3 aber nur, soweit...