Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund von Schwerbehinderung. Entschädigungsanspruch wegen Altersdiskriminierung. Verschiedene Sachverhalte wegen Diskriminierung nach AGG als mehrere zu entscheidende Streitgegenstände. Anspruch auf Ergänzungsurteil bei Nichtbehandlung eines Streitgegenstands durch das Gericht. Dreimonatige Klagefrist bei Klageerweiterung im Berufungsverfahren wegen übergangenem Anspruch. Vom Gericht versehentlich nicht entschiedener Anspruch gilt als übergegangen im Sinne des § 321 ZPO. Wertung eines vom Gericht versehentlich nicht entschiedenen Anspruchs als übergegangen im Sinne des § 321 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Macht eine klagende Partei Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgsetz wegen Diskriminierung aufgrund mehrerer Merkmale geltend, handelt es sich jedenfalls dann um mehrere Streitgegenstände, wenn der Klageforderung - außer, dass sie sich auf unterschiedliche Merkmale bezieht - verschiedene Lebenssachverhalte zugrunde liegen.
2. Bei einem klageabweisenden Urteil kommt es auf die Auslegung im Einzelfall an, ob der Tenor sämtliche Streitgegenstände erfasst.
3. Ist dies nicht der Fall und beruht dies auf einem Versehen, muss die klagende Partei innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils einen Antrag auf Ergänzungsurteil stellen (§ 321 ZPO). Andernfalls entfällt die Rechtshängigkeit des übersehenen Streitgegenstands.
4. Der übergangene Anspruch kann im Berufungsverfahren als Klageerweiterung wieder in das Verfahren eingebracht werden. Jedoch ist die dreimonatige Klagefrist des § 61b Absatz 1 ArbGG als materielle Ausschlussfrist zu beachten.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2; ArbGG § 61b Abs. 1; ZPO § 321; AGG §§ 1, 15 Abs. 4, § 22; ZPO § 97 Abs. 1, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 27.10.2021; Aktenzeichen 60 Ca 6792/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2021 - 60 Ca 6792/20 - wird als unzulässig verworfen, soweit der Kläger eine Entschädigung in Höhe von mehr als 13.203,12 Euro (drei Bruttomonatsentgelte der Entgeltgruppe 14 Stufe 1 TVöD) begehrt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Soweit die Berufung zurückgewiesen worden ist, wird die Revision zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bei einer Stellenbesetzung.
Der am .... 1983 geborene, wegen der Lähmung seines linken Arms mit einem Grad von 80 schwerbehinderte Kläger studierte an der Technischen Fachhochschule (TFH) W. (jetzt: Technische Hochschule (TH) W.) im Fachbereich Ingenieurwesen/Wirtschaftsingenieurwesen Luftfahrttechnik/Luftfahrtlogistik und schloss dieses 2009 mit dem Master of Engineering (M.Eng.) ab. 2018 wurde er an der Universität Roma Tor Vergata promoviert.
Im Herbst 2019 schrieb das im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für D. und V. (BMDV), ehemals Bundesministerium für V. und d. I. (BMVI), angesiedelte L.-Bundesamt (LBA) eine nach Entgeltgruppe 14 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst im Bereich des Bundes (TVöD Bund) bewertete Stelle für einen oder eine Sachbearbeiter*in für die Leitung des Sachbereiches S in der Außenstelle Berlin und der Leitung des Sachgebietes "Überwachung Luftfahrtunternehmen und Ausbilder/Luftsicherheitsschulungen" im Sachbereich S aus. Mit der Durchführung des Stellenbesetzungsverfahrens beauftragte das LBA die Bundesanstalt für V. (BAV). In der Ausschreibung (Blatt 13 f. (folgende) der Akten) heißt es auszugsweise wie folgt:
"...
Ihr Profil
Zwingende Anforderungskriterien
• Laufbahnbefähigung zum höheren nichttechnischen oder technischen Verwaltungsdienst oder
• Erfolgreich abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschul-/Masterstudium in einer für die Verwendung förderlichen Fachrichtung, z.B. Verwaltungswissenschaften oder Luft- und Raumfahrttechnik
...
Wichtige Anforderungskriterien
• Kenntnisse im Luftsicherheitsrecht
• Mehrjährige Erfahrung in Personalführung
...
Besondere Hinweise
...
Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher fachlicher Eignung bevorzugt. Es wird nur ein Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt.
...
Fühlen Sie sich angesprochen?
...
Bitte laden Sie im weiteren Verlauf Ihre vollständigen und aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen (Lebenslauf, Uni-Diplom-/Masterurkunde und -zeugnis und/oder Nachweis über die Laufbahnbefähigung, insbesondere das Vorliegen sämtlicher Anforderungen ist durch Beurteilungen, Zeugnisse, Lehrgangsnachweise o.ä. nachzuweisen) als Anlage in Ihr Kandidatenprofil hoch.
...
Bei Masterabschlüssen an einer Fachhochschule/Hochschule bitten wir um Beifügung eines Akkreditierungsnachweises.
..."
Die Anforderung eines Akkreditierungsnachweises geht auf eine ...