Entscheidungsstichwort (Thema)
Kirchenmitgliedschaft als Voraussetzung für eine befristete Anstellung zur Erstellung eines unabhängigen Berichts über die Umsetzung der Antirassismuskonvention durch Deutschland. Unbegründete Entschädigungsklage einer abgelehnten Sozialpädagogin bei fehlenden Angaben zur Kirchenzugehörigkeit im Bewerbungsschreiben
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung des Inhalts des § 9 Abs. 1 AGG kann nicht losgelöst von den europarechtlichen Vorgaben erfolgen. Soweit eine Ungleichbehandlung wegen der Religion betroffen ist, setzt das AGG die RL 2000/78/EG um. Die Auslegung des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG darf allerdings ihrerseits nicht unabhängig von den Vorgaben des europäischen Primärrechts erfolgen. Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG ist vielmehr seit dem 01.12.2009 seinerseits im Lichte von Art. 17 Abs. 1 AEUV auszulegen.
2. Art. 17 Abs. 1 AEUV gebietet eine Auslegung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG im Sinne einer Wahrung der sich aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 WRV ergebenden kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die entsprechende seit dem 01.12.2009 gebotene europarechtliche Auslegung des § 9 AGG steht im Einklang mit Wortlaut der Norm und dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen Willen des deutschen Gesetzgebers.
3. Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen folgt jedoch nicht, dass die Entscheidung, ob für eine Tätigkeit eine bestimmte Religionszugehörigkeit erforderlich ist, gar nicht justiziabel wäre. Die Kirchen müssen sich an ihre selbst gestellten Anforderungen halten. Sehen die kirchenrechtlichen Vorschriften das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit nicht vor, kann auch aus dem Selbstverständnis keine Rechtfertigung folgen. Insoweit obliegt den staatlichen Gerichten auch eine Missbrauchskontrolle der kirchlichen Anforderungen an deren Mitarbeiter auf der Grundlage der durch die Religionsgemeinschaft selbst vorgegebenen Maßstäbe.
4. Dass der Beklagte für die hier in Frage stehende Stelle eines Referenten/einer Referentin eine Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen angehörenden Kirche voraussetzt, hält unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Beklagten einer Missbrauchskontrolle statt.
Normenkette
AGG § 3 Abs. 1, § 9 Abs. 1; GG Art. 140; AEUV Art. 17; EGRL 2000/78 Art. 4 Abs. 2; AGG §§ 1, 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2; AEUV Art. 17 Abs. 1; WRV Art. 137 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 18.12.2013; Aktenzeichen 54 Ca 6322/13) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. Dezember 2013 - 54 Ca 6322/13 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der Beklagte ist ein Werk der evangelischen Kirche in Deutschland, das durch Zusammenschluss des Diakonischen Werkes mit Brot für die Welt und des Evangelischen Entwicklungsdienstes entstanden ist. Grundlage seiner Tätigkeit ist die Satzung vom 14. Juni 2012, hinsichtlich deren genauen Wortlauts auf Bl. 140-160 d. A. verwiesen wird.
Für den Beklagten gilt die Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland nach Art. 9 Buchst. b Grundordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes vom 01. Juli 2005. Die Richtlinie regelt ua. folgendes:
"§ 2 Grundlagen des kirchlichen Dienstes
1. Der Dienst der Kirche ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen. Alle Frauen und Männer, die in Anstellungsverhältnissen in Kirche und Diakonie tätig sind, tragen in unterschiedlicher Weise dazu bei, dass dieser Auftrag erfüllt werden kann. Dieser Auftrag ist die Grundlage der Rechte und Pflichten von Anstellungsträgern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
2. Es ist Aufgabe der kirchlichen und diakonischen Anstellungsträger, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den christlichen Grundsätzen ihrer Arbeit vertraut zu machen. Sie fördern die Fort- und Weiterbildung zu Themen des Glaubens und des christlichen Menschenbildes.
§ 3 Berufliche Anforderung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses
1. Die berufliche Mitarbeit in der Evangelischen Kirche und ihrer Diakonie setzt grundsätzlich die Zugehörigkeit zu einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche voraus, mit der die evangelische Kirche in Deutschland in Kirchengemeinschaft verbunden ist.
2. Für Aufgaben, die nicht der Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leistung zuzuordnen sind, kann von Absatz 1 abgewichen werden, wenn andere geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zu gewinnen sind. In diesem Fall können auch Personen eingestellt werden, die einer anderen Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland oder der Vereinigung Eva...