Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungsanspruch wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung bei einer Beförderungsentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Die zweistufige Regelung des § 611a Abs. 1 S 3 BGB aF lässt die Beweislastverteilung unberührt, senkt aber das Beweismaß dahingehend, dass der klagende Arbeitnehmer lediglich Tatsachen vortragen muss, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Werden vom Arbeitnehmer Hilfstatsachen vorgetragen, die für sich genommen nicht zur Begründung der Vermutungswirkung ausreichen, ist vom Tatrichter eine Gesamtbetrachtung dahingehend vorzunehmen, ob die Hilfstatsachen im Zusammenhang gesehen geeignet sind, die Vermutungswirkung zu begründen (im Anschluss an BAG 27. Januar 2011 – 8 AZR 483/09 –).
2. In die vom Tatrichter im Rahmen des § 611a Abs 1 S 3 BGB aF vorzunehmende Gesamtwürdigung sind nicht nur solche Tatsachen einzubeziehen, denen ein „roter Faden” innewohnt. Sinn der Gesamtbetrachtung ist, Indizien, die für sich genommen den Tatrichter nicht von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit geschlechtsdiskriminierender Motive überzeugen konnten, darauf zu überprüfen, ob sie in der Gesamtschau eine entsprechende Überzeugung erbringen. Aus welchen Bereichen diese Indizien stammen, ist hierfür nicht von Bedeutung. Der innere Zusammenhang der vorgebrachten Tatsachen ist nicht Voraussetzung der Vermutung einer gesetzwidrigen Benachteiligung. Vielmehr kann sich gerade erst aus diesen Tatsachen eine „Benachteiligungskultur” im Unternehmen ergeben (im Anschluss an BAG 27. Januar 2011 – 8 AZR 483/09 –).
Solche Indizien können sich sowohl aus Erklärungen oder Verhaltensweisen des Arbeitgebers vor der geltend gemachten benachteiligenden Entscheidung als auch aus zeitlich nach dieser Entscheidung abgegebenen Erklärungen ergeben.
3. Besteht aufgrund der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts, muss der Arbeitgeber Tatsachen darlegen und beweisen, dass ausschließlich nicht auf die Schwangerschaft bezogene sachliche Gründe seine Auswahlentscheidung gerechtfertigt haben. Hierfür genügt es nicht vorzutragen, der beförderte Mitbewerber sei der bestplatzierte Bewerber gewesen. Dies folgt aus § 611a Abs. 3 BGB aF (im Anschluss an BAG 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 –).
Normenkette
BGB a.F. § 611a
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 28.04.2006; Aktenzeichen 28 Ca 5196/06) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. April 2006 – 28 Ca 5196/06 – wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Revisionsverfahren zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch der Klägerin wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung bei einer Beförderungsentscheidung.
Die Klägerin war seit dem 1. April 2002 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als „Marketing Director International Division” bei einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von etwa 8.700,00 Euro.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Musikbranche, das im Jahr 2005 aufgrund eines Joint Ventures zwischen der S. C. of America und der B. AG durch Verschmelzung der S. M. E. Germany GmbH und der B. R. GmbH entstanden ist. Die Klägerin arbeitete in dem Bereich „International Marketing”, dem der Vizepräsident der Beklagten E. vorstand. Sie war als „Director Pop” Abteilungsleiterin. In dem Bereich gab es nach der Verschmelzung außerdem zwei männliche Abteilungsleiter, die Mitarbeiter L. (Abteilung Rock/Alternative) und G. (Abteilung Urban). Jedenfalls Herr G. war vor dem Joint Venture bei der B. R. GmbH beschäftigt. Sowohl die Klägerin als auch Herr E. waren vor der Verschmelzung bei der S. M. E. G. GmbH tätig. Zu dieser Zeit vertrat die Klägerin den damaligen Bereichsleiter E. in aller Regel allein. Nach dem Joint Venture waren alle drei Abteilungsleiter jedenfalls fachlich im Rahmen ihrer Aufgabengebiete zur Vertretung berechtigt. Der Klägerin war die Befugnis eingeräumt, bei Abwesenheit des Herrn E. Marketingpläne freizuschalten, was eine Budgetverantwortung iHv. 150.000,00 Euro einschloss. Zeitlich später als der Klägerin wurde auch dem Mitarbeiter G. diese Befugnis eingeräumt. Der Zeitpunkt ist zwischen den Parteien streitig.
Die Stelle des Bereichsvorstands „International Marketing”, welche nach Beförderung des Herrn E. am 26. September 2005 zum „Senior Vice President Music Division” frei geworden war und auf der Ebene der Hauptabteilungsleiter angesiedelt ist, wurde danach im Herbst 2005 dem Mitarbeiter G. übertragen. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin schwanger, was Herrn E. und den anderen für die Beförderungsentscheidung maßgeblichen Vorgesetzten bekannt war. Die Klägerin hatte sowohl Herrn E. als auch den zuständigen Personalsachbearbeiter am 29. Juli 2005 über ihre Schwangerschaft informiert. Herrn E. und der Person...