Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen betriebsärztlicher Sicherheitsbedenken nach Cannabiskonsum. Mindestanforderungen an die Zustimmungsverweigerungsgründe des Personalrates gem. § 87 Ziff. 8 PersVGBln. Unwirksame Kündigung bei unterlassenem Einigungsverfahren nach Widerspruch der Personalvertretung. unbegründeter Antrag eines Gleisbauers auf vorläufige Weiterbeschäftigung aus prozessrechtlichen Gründen bei Sicherheitsbedenken infolge Haschischkonsums
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine ordnungsgemäße Zustimmungsverweigerung des Personalrates löst das Einigungsverfahren gemäß §§ 80 ff. PersVG Bln aus mit der Folge, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, vor Ausspruch der Kündigung eine Entscheidung ihres zuständigen Organs gemäß § 80 Abs. 3 PersVG Bln herbeizuführen, gegen die die Personalvertretung bei der Arbeitgeberin gegebenenfalls die Einigungsstelle gemäß § 81 PersVG Bln anrufen kann.
2. Kündigt die Arbeitgeberin trotz des schriftlich begründeten Widerspruchs ihrer Personalvertretung, ohne das Einigungsverfahren mit ihrer Personalvertretung eingeleitet zu haben, hat sie ihre Personalvertretung gemäß § 108 Abs. 2 BPersVG nicht ordnungsgemäß beteiligt; die Kündigung ist daher rechtsunwirksam.
3. Der nicht erfolgten Beteiligung der Personalvertretung gemäß § 108 Abs. 2 BPersVG steht die nicht ordnungsgemäße Beteiligung der Personalvertretung gleich.
4. Der allgemeine Beschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers hat auch nach Obsiegen mit dem Kündigungsschutzantrag und nicht nur nach erstinstanzlichem Obsiegen dort zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen der Arbeitgeberin entgegenstehen; das gilt insbesondere dann, wenn überwiegende und schutzwerte Interessen der Arbeitgeberin dem Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung entgegenstehen und auch die Verpflichtung der Arbeitgeberin, den Arbeitnehmer vor etwaigen Schäden oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Arbeitsprozess zu schützen, zu beachten ist.
5. Hat der Arbeitnehmer eingeräumt, regelmäßig Cannabis einzunehmen, genügen für die Versagung eines vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruchs bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens betriebsärztliche Sicherheitsbedenken, insbesondere wenn die gesundheitliche Tauglichkeit des Arbeitnehmers für eine Arbeit als Gleisbauer deshalb gefährdet ist, weil sich sein 2-Mann-Team gegenseitig vor den Gefahren der Arbeiten bei laufendem Straßenbahnbetrieb zu schützen hat.
Normenkette
KSchG § 1; PersVG Bln § 87 Nr. 8, § 79 Abs. 2 S. 5; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; BPersVG § 108 Abs. 2; PersVG Bln §§ 80-81; BGB § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 01.12.2011; Aktenzeichen 59 Ca 7960/11) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.12.2011 - 59 Ca 7960/11 - werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte zu ¾, der Kläger zu ¼.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach arbeitgeberseitiger fristgemäßer Kündigung und den Anspruch des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung.
Der am ......1986 geborene und ledige Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts mit mehreren hundert Arbeitnehmern, nach einer Ausbildung vom 01.09.2005 bis 01.07.2008 seit dem 03.07.2008 zunächst befristet und dann unbefristet ab dem 01.11.2009 auf der Basis des Arbeitsvertrages vom 29.10.2009 (vgl. Bl. 8 bis 11 d. A.) in Vollzeit gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.312 EUR als Gleisbauer in einem 2-Mann-Team, dass sich gegenseitig absichert während der Arbeit, entsprechend der Beschreibung des Aufgabenkreises (vgl. Bl. 34 und 35 d. A.) tätig.
Nach einer ersten gesundheitlichen Untersuchung des Klägers am 20.01.2011 und einer Nachuntersuchung am 14.03.2011 sowie einem Gespräch an "Runden Tisch" äußerte die Betriebsärztin beim beklagten Unternehmen Sicherheitsbedenken, bescheinigte gesundheitliche Bedenken auf Dauer und bemerkte "kein Einsatz ein Gleisbereich", unter anderem wegen erhöhter Cannabinolwerte, die beim Kläger im Rahmen eines Drogenscreenings festgestellt worden sind. Der Kläger hat eingeräumt, in seiner Freizeit und an Wochenenden Hasch zu konsumieren. Wegen des Protokolls vom 14.02.2011 sowie der ärztlichen Bescheinigungen vom 20.01. und 14.03.2011 wird auf die Akten Bl. 32, 33, 51 - 53 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 14.04.2011 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Personalrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an, nahm Bezug auf die gesundheitlichen und Sicherheitsbedenken der Betriebsärztin, informierte über den Inhalt des Gesprächs am "Runden Tisch", teilte mit, dass der Kläger die Auflagen der Betriebsärztin nicht eingehalten habe und informierte darüber, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen als Gle...