Entscheidungsstichwort (Thema)
Stilllegung eines Betriebs oder Teilstilllegung als betriebsbedingter Kündigungsgrund. Abgrenzung zwischen Betriebsstilllegung und Betriebsveräußerung. Unmissverständliche Stilllegungsabsicht zum Zeitpunkt des Zugangs der betriebsbedingten Kündigungen. Bewahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit bei einem Betriebs(teil-)übergang. Anforderungen an einen Betriebs(teil-)übergang bei einem Luftverkehrsunternehmen. Keine Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen im Fall einer Betriebsstilllegung. Kündigung tariflich unkündbarer Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren. Unterrichtung der Personalvertretung über die beabsichtigte betriebsbedingte Kündigung. Unionsrechtliches Verständnis des Betriebsbegriffs bei Massenentlassungsanzeigen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Stilllegung des gesamten Betriebs oder eines Betriebsteils durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können (st. Rspr., vgl. BAG 22. September 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 64; 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 25; 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - Rn. 28). Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen (BAG 21. Mai 2015 - 8 AZR 409/13 -Rn. 51;16. Februar 2012 - 8 AZR 693/10 - Rn. 37).
2. Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich systematisch aus (st. Rspr., BAG 21. Mai 2015 - 8 AZR 409/13 - Rn. 33; 16. Februar 2012 - 8 AZR 693/10 - Rn. 39). Dabei kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und nicht auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung an. Eine vom Arbeitgeber mit einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung und nicht als Betriebsveräußerung darstellt, weil etwa die für die Fortführung des Betriebs wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung wertet (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - Rn. 30). An einer Stilllegung des Betriebs fehlt es nicht nur dann, wenn der gesamte Betrieb veräußert wird, sondern auch, wenn organisatorisch abtrennbare Teile des Betriebs im Wege eines Betriebsteilübergangs (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) veräußert werden. Dann liegt keine Betriebsstilllegung, sondern allenfalls eine Betriebsteilstilllegung vor (BAG 30. Oktober 2008 - 8 AZR 397/07 - Rn. 28). Wird ein Betriebsteil veräußert und der verbleibende Restbetrieb stillgelegt, kommt es darauf an, ob der gekündigte Arbeitnehmer dem auf einen Erwerber übergehenden Betriebsteil zugeordnet war (vgl. BAG 30. Oktober 2008 - 8 AZR 397/07 - Rn. 41). Ist dies nicht der Fall, so kann die Stilllegung des Restbetriebs einen betriebsbedingten Kündigungsgrund darstellen, wenn die Arbeitnehmer diesem Betriebsteil zugeordnet waren (vgl. ErfK/Oetker 15. Aufl. KSchG § 1 Rn. 283, vgl. hierzu insgesamt BAG 21 Mai 2015 - 8 AZR 409/13 - Rn. 33).
3. Bei einer Betriebsstilllegung ist ferner erforderlich, dass die geplanten Maßnahmen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits "greifbare Formen" angenommen haben (vgl. BAG 15. Dezember 2011 - 8 AZR 692/10 - Rn. 40). Von einer Stilllegung kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt (BAG 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 26, so insgesamt BAG 21. Mai 2015 - 8 AZR 409/13 - Rn. 53).
4. Ein Betriebs(teil-)übergang iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB - wie auch iSd. Richtlinie 2001/23/EG - liegt vor, wenn die für den Betrieb verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt und die in Rede stehende Einheit nach der Übernahme durch den neuen Arbeitgeber ihre - vor der Übernahme vorhandene - Identität bewahrt (vgl. etwa EuGH 26. November 2015 - C-509/14 - [Aira Pascual ua.] Rn. 28; 6. März 2014 - C-458/12 - [Amatori ua.] Rn. 29 f. mwN; BAG 19. Oktober 2017 - 8 AZR 63/16 - BAGE 160, 345, Rn. 32; 22. Januar 2015 - 8 AZR 139/14 - Rn. 13 mwN; 18. September 2014 - 8 AZR 733/13 - Rn. 18). Der Übergang muss eine ihre Identität bewahrende - auf Dauer angelegte - wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Ve...