Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch einer Krankenschwester auf Beschäftigung ohne Nachtschichten. Leistungsbestimmung durch Urteil bei unbilliger Zuweisung von Nachtdiensten
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Arbeitnehmerin hat aus §§ 611, 613, 242 BGB in Verbindung mit Art. 1 und 2 GG (Persönlichkeitsrecht) und dem Arbeitsvertrag grundsätzlich einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung; nach § 106 Satz 1 GewO kann die Arbeitgeberin Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
2. Die Leistungsbestimmung der Arbeitgeberin entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind; entspricht die Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit, wird sie nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil getroffen.
3. Beruht die Unfähigkeit einer Krankenschwester zur Ableistung von Nachtdiensten auf der gesundheitlich erforderlichen Einnahme von Medikamenten, die zum Einschlafen führen, ist die Arbeitnehmerin nicht arbeitsunfähig sondern nur eingeschränkt leistungsunfähig, wenn die behandelnden Ärzte sie nicht mehr arbeitsunfähig krankgeschrieben haben und auch eine betriebsärztliche Untersuchung keine Arbeitsunfähigkeit ergeben hat; unter diesen Umständen ist die Arbeitgeberin in Ausübung des ihr nach § 106 Satz 1 und 3 GewO obliegenden billigen Ermessens bei der Gestaltung der Dienstpläne verpflichtet, die Arbeitnehmerin nicht für Nachtdienste einzuteilen.
4. Der Begriff der Behinderung im Sinne des § 106 Satz 3 GewO ist weiter als der des SGB IX und erfasst auch Behinderungen, die nicht die Voraussetzungen des § 2 SGB IX erfüllen.
Normenkette
BGB §§ 315, 615 S. 1, § § 293 ff.; GewO § 106 Sätze 1, 3; BGB § 315 Abs. 3 S. 2, § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Potsdam (Entscheidung vom 14.11.2012; Aktenzeichen 8 Ca 1434/12) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 14.11.2012 - 8 Ca 1434/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin als Krankenschwester ohne Ableistung von Nachtschichten zu beschäftigen, und um Ansprüche auf Arbeitsentgelt.
Die am .....1963 geborene Klägerin ist seit 01.09.1983 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Krankenschwester im Schichtdienst tätig (Arbeitsvertrag vom 17.09.1982, Bl. 8/9 der A. sowie Änderungsarbeitsvertrag vom 01.07.1991, Bl. 12/13 d. A.). Aufgrund eines bis zum 31.07.2013 befristeten weiteren Änderungsvertrages vom 20.04.2012 wird sie seit dem 01.07.2012 als Teilzeitbeschäftigte mit 75 % der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigt. Die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung der Klägerin einschließlich gezahlter Zuschläge und Nebenbestandteile betrug zuletzt 2.917,72 €.
In § 2 des Änderungsvertrages vom 01.07.1991 ist vereinbart:
"Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag-Ost (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung sowie nach den für Angestellte des Arbeitgebers im Gebiet nach Art. 3 des Einigungsvertrages jeweils geltenden sonstigen Regelungen. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung."
Bei der Beklagten wurde als Haustarifvertrag der TV-EvB vereinbart. § 6 Abs. 5 TV-EvB lautet auszugsweise:
"(5) Die Beschäftigten sind im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zu leisten von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Schichtarbeit sowie ... verpflichtet."
Die Krankenschwestern bei der Beklagten arbeiten im Schichtdienst, wobei die Frühschicht von 06.00 Uhr bis 14.30 Uhr, die Zwischenschicht von 11.30 Uhr bis 22.00 Uhr, die Spätschicht von 14.00 Uhr bis 22.30 Uhr und die Nachtschicht von 21.45 Uhr bis 06.15 Uhr dauern.
Grundsätze der Dienstplangestaltung bei der Beklagten sind in einer Betriebsvereinbarung vom 01.08.2011 (Bl. 249 bis 255 d. A.) niedergelegt. In § 3 Abs. 4 und 6 dieser Betriebsvereinbarung heißt es:
"(4) Die Stations-/Bereichsleitungen sollen den Einsatz der Beschäftigten aktiv steuern, unter Beachtung arbeitsphysiologischer Gesichtspunkte vorwärts rotierend in Früh-, Spät- und Nachtdiensten. Hierbei ist eine gleichmäßige Planung in Bezug auf Freizeitausgleich, freie Tage, Schichtfolgen, Einsatz an Feiertagen, Voll- und Teilzeitbeschäftigung unter Erreichung der individuell geschuldeten Arbeitszeit anzustreben. Sofern betriebliche Erfordernisse oder berechtigte Belange anderer Beschäftigter nicht entgegenstehen, sind individuelle Wünsche bei der Dienstplangestaltung zu ber...