Entscheidungsstichwort (Thema)
„Mobbing”
Leitsatz (amtlich)
„Mobbing” stammt ebenso wie „Corporate Governance” oder Regeln über Zielvereinbarungen aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum und ist auf das deutsche Rechtssystem nicht als Anspruchsgrundlage zu übertragen. Vielmehr kommen in derartigen Fällen, in denen dem Arbeitgeber durch fortlaufende Handlungen den Arbeitnehmer kausal schädigende schuldhafte Ehr-, Gesundheits- und Pflichtverletzungen vorgeworfen werden, Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sowie aus §§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185, 223, 230 StGB, § 847 BGB in Betracht.
Voraussetzung für alle angesprochenen Anspruchsgrundlagen sind Handlungen, die der Arbeitnehmer bei Bestreiten des Arbeitgebers konkret darlegen und beweisen muss, dadurch kausal verursachte Verletzungen der Rechtsgüter des Arbeitnehmers, ein zurechenbarer Schaden und ein Verschulden des Arbeitgebers, der insbesondere die psychischen Gesundheitsverletzungen des Arbeitnehmers voraussehen können muss.
Normenkette
StGB § 823 Abs. 1-2, § 223 i.V.m, §§ 185, 223, 230; BGB § 847
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. März 2002 – 40 Ca 5746/01 – abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als die Beklagte verurteilt wurde,
- an die Klägerin 3.818,– EUR brutto nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aa) aus 1.391,19 EUR brutto seit 3. Juli 2001, bb) aus 1.046,84 EUR brutto seit 1. Oktober 2001, cc) aus 1.381,11 EUR brutto seit 8. Februar 2002 zu zahlen;
- an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,– EUR nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juli 2001 zu zahlen;
- an die Klägerin 47,83 EUR netto nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juli 2001 zu zahlen;
- sowie festgestellt wurde, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch den weitergehenden Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aufgrund der seit dem 19. Januar 2001 eingetretenen Erkrankung an einer Depression entsteht.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 40%, die Beklagte 60% bei einem Streitwert von 38.159,89 EUR, von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz trägt die Klägerin 75%, die Beklagte 25% bei einem Streitwert von 42.850,93 EUR.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in zweiter Instanz noch um eine fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung seitens der Beklagten wegen einer behaupteten Verleumdung der Geschäftsführerin durch die Klägerin, um Schadensersatz, Schmerzensgeld, die Feststellung, dass die Beklagte auch den weitergehenden Schaden zu ersetzen hat, der der Klägerin aufgrund der seit dem 19. Januar 2001 eingetretenen Erkrankung einer Depression entstanden ist, sowie die Rückzahlung der aufgrund des Urteils erster Instanz an die Klägerin bezahlten Beträge im Wege der Widerklage nach § 717 Abs. 2 ZPO. Rechtskräftig ist die Verurteilung der Beklagten zur Herausnahme von insgesamt sechs Abmahnungen aus der Personalakte der Klägern geworden.
Die am … 1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, die ein privates Seniorenheim in Berlin betreibt und dabei ständig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, seit dem 1. August 1992 als Sekretärin für ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.250,– DM/1.661,70 EUR auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 1. August 1992 angestellt.
Die Klägerin ist seit 1996 in der Behandlung bei der Ärztin für innere Medizin, Frau B., wegen verschiedener chronischer Erkrankungen. Nach ihrer Behauptung und dem Attest der behandelnden Ärztin Frau B. (vgl. dazu das Attest in Kopie Bl. 64 – 66 d.A.) traten bereits im Herbst 1999 erste Blutdruckanstiege, psychosomatische Symptome und reaktive depressive Symptome aufgrund von Schwierigkeiten im beruflichen Leben auf, die Klägerin sei „gemobbt” worden. Am 9. November 1999 starb der Neffe der Klägerin. Zu einer weiteren Verschlechterung der psychischen Situation sei es nach dem Attest der Ärztin im Herbst 2000 gekommen. Die Klägerin hätte gegenüber der Ärztin einen eingeschüchterten, ängstlichen Eindruck gemacht, die Schlafstörung hätte sich zur Schlaflosigkeit gesteigert, die „Mobbingsituationen” hätten an Häufigkeit und Intensität zugenommen. Eine durch die Ärztin festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gab es nicht, da die Klägerin dies nach dem Attest der Ärztin nicht wollte.
Am 25. September 2000 starb die Mutter der Klägerin, welche sie bis dahin gepflegt hatte. Am 9. November 2000, dem Jahrestag des Todes ihres Neffen, erlitt die Klägerin einen Weinanfall, so dass ihr Mann sie aus dem Pflegeheim abholen musste.
Am 19. Januar 2001 kam es zu einem Nervenzusammenbruch der Klägerin. Seitdem war ...