Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachholende Anpassung einer Betriebsrente einer Gewerkschaft. Umstände, die heranzuziehen sind, um die wirtschaftliche Lage einer Gewerkschaft festzustellen
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer Gewerkschaft ist zu beachten, dass es sich bei einer Gewerkschaft nicht um ein Wirtschaftsunternehmen handelt. Eine Gewerkschaft ist nicht mit dem Ziel der Gewinnerzielung tätig. Als Einkünfte stehen ihr im Wesentlichen nur die Mitgliedsbeiträge zur Verfügung, die wiederum von der Entwicklung der Mitgliedszahlen abhängen. Die wirtschaftliche Lage einer Gewerkschaft wird weiterhin von den Versorgungsverbindlichkeiten gekennzeichnet.
Es ist den Gerichten für Arbeitssachen verwehrt zu hinterfragen, ob zum Beispiel der Streikfonds und Zinserträge hieraus geeignet sein können, eine Anpassung einer Betriebsrente zu rechtfertigen.
Normenkette
BetrAVG § 16 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 18.11.2003; Aktenzeichen 40 Ca 20970/03) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. November 2003 – 40 Ca 20970/03 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, die Betriebsrente des Klägers nach § 16 BetrAVG anzupassen.
Der im Jahre 1925 geborene Kläger war in der Zeit vom 1. Oktober 1952 bis zum 31. März 1988 bei der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) in der Hauptverwaltung als Leiter der Hauptkasse (Hauptkassierer) tätig. Er erhielt als Wahlangestellter eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe W 3, das waren 130 % der Vergütungsgruppe 14/8 der Vergütungsregelung der ÖTV. Die Beklagte ist aufgrund Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der Einzelgewerkschaften DAG, DPG, HBV, IG Medien und ÖTV. Die Verschmelzung erfolgte zum 31. Dezember 2000, die Beklagte wurde als e.V. am 2. Juli 2001 in das Vereinsregister eingetragen. Mit Wirkung vom 1. Juli 2004 verzichtete die Beklagte auf die Rechtsfähigkeit eines eingetragenen Vereins.
Seit dem 1. April 1988 erhielt der Kläger nach den Vorschriften der Unterstützungsrichtlinien 1988 (UR 88) von der Unterstützungskasse des DGB e.V. Altersunterstützung. Seit dem 1995 sind für eine Anpassung der Altersunterstützung die einzelnen Mitglieder der Unterstützungskasse des DGB e.V. zuständig. Im April 1988 erhielt der Kläger eine Altersunterstützung in Höhe von monatlich 4.351,86 DM. Bis zum 1. Juli 1993 wurde die Betriebsrente des Klägers von der Unterstützungskasse jeweils zum 1. Juli eines Jahres angepasst, und zwar auf der Grundlage der Entwicklung des Preisindex für einen 4-Personen-Haushalt von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen. Bis zum 1. Juli 2000 erfolgte keine Anpassung der Betriebsrente. Am 1. Juli 2000 passte die ÖTV die Betriebsrenten für Betriebsrentner, die mindestens drei Jahre Betriebsrente bezogen hatten – so auch für den Kläger –, um 2 % an. Seit dem 1. Juli 2000 erhält der Kläger eine Betriebsrente in Höhe von 4.955,86 DM.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2001 widersprach der Kläger der Anpassung seiner Betriebsrente um 2 % seit dem 1. Juli 2000, was ihm mit Schreiben der ÖTV vom 31. Oktober 2000 mitgeteilt worden war. Der Kläger monierte, dass die Preissteigerung seit der letzten Anpassung nicht berücksichtigt worden sei und dass keine nachholende Anpassung erfolgt sei. Dem Widerspruch des Klägers gab die ÖTV nicht statt.
Mit seiner beim Arbeitsgericht Stuttgart am 27. Dezember 2002 eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine Betriebsrente müsse im Wege nachholender Anpassung ab 1. Juli 2000 um 13,88 % erhöht werden und hat zugleich Nachzahlung für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2002 begehrt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass sich die Beklagte nicht auf fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berufen könne, wobei er mit Nichtwissen bestritten hat, dass bei der Beklagten ein Mitgliederrückgang mit Rückgang der Beitragseinnahmen zu verzeichnen sei und die Beklagte außerdem über Zinseinnahmen aus dem Streikfonds verfüge.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.356,40 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 411,00 EUR brutto seit dem 1. Juli 2000 sowie seit dem 1. eines jeden Monats für den darauffolgenden Zeitraum bis zum 31. Dezember 2002 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. Januar 2003 eine monatliche betriebliche Altersrente in Höhe von 2.945,77 EUR brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ermögliche keine Anpassung der Betriebsrente des Klägers. Sie hat sich weiter auf die Entwicklung des Nettoeinkommens der aktiv Beschäftigten berufen sowie darauf, dass es den Gerichten für Arbeitssachen nach Art. 9 GG nicht möglich se...