Revision zugelassen; rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anerkennung von (Vor-)Dienstzeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelung in der Übergangsvorschrift zu § 19 BAT-O Nr. 4 b ist jedenfalls insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig und damit nichtig, als sie die Nichtanerkennung von Beschäftigungszeiten anordnet, die vor dem Eintritt in die Grenztruppen der DDR gelegen haben.

 

Normenkette

BAT-O § 19

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 04.08.1994; Aktenzeichen 91 Ca 3.904/94)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. August 1994 – 91 Ca 3.904/94 – wird im übrigen auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Anerkennung von Beschäftigungszeiten des Klägers im öffentlichen Dienst.

Dieser, der eine Ausbildung als Diplom-Lehrer absolviert hat, war nach Beendigung seines Studiums in der Zeit vom 1. August 1969 bis zum 2. November 1972 als Lehrer für Polytechnik beim Rat des Stadtbezirks Berlin-… tätig. In der Zeit vom 2. November 1972 bis zum 24. April 1974 absolvierte er seinen Grundwehrdienst bei den Grenztruppen der DDR. Im Anschluß hieran war er wiederum als Lehrer im Bereich des Stadtbezirks Berlin-… tätig; er übt diese Tätigkeit auch derzeit aus. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Regelungen des BAT-O Anwendung.

Die Parteien streiten um die Anerkennung von Vordienstzeiten im Hinblick auf die der Vergütung des Klägers zugrunde zu legende Lebensaltersstufe und auf die Jubiläumszeit. In diesem Zusammenhang hat das beklagte Land gegenüber dem Kläger erklärt, daß für die Berechnung der Beschäftigungszeiten des Klägers nur die Zeit seit dem 23. April 1974 unter Berufung auf die Übergangsvorschrift zu § 19 BAT-O Ziffer 4 b berücksichtigt werde. Nach dieser Vorschrift sind von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit unter anderem ausgeschlossen Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden, bei Gericht am 8. Februar 1984 eingegangenen Klage.

Der Kläger hat vorgetragen, er sei ohne seinen Willen im Rahmen der Absolvierung seiner Wehrpflicht zu den Grenztruppen der DDR gelangt und die diesbezügliche Dienstzeit sowie die vorangegangene Zeit als Lehrer beim Stadtbezirk Berlin-… seien nunmehr für die Berechnung auch der Lebensaltersstufe zugrunde zu legen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, den Zeitraum vom 1. August 1969 bis zum 24. April 1974 als Beschäftigungszeit im Sinne von § 19 BAT-O und die Jubiläumszeit im Sinne von § 39 BAT-O anzurechnen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat sich auf die Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O berufen und die Auffassung vertreten, diese Vorschriften seien auch im Falle des Klägers, der seinen Grundwehrdienst als Wehrpflichtiger bei den Grenztruppen abgeleistet habe, anzuwenden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 4. August 1994 der Klage stattgegeben und den Wert das Streitgegenstandes auf 4.000,– DM festgesetzt. Zur Begründung hat es in wesentlichen ausgeführt, der Ausschluß der Grundwehrdienstzeit bei den Grenztruppen und der davorliegenden Tätigkeitszeiten sei mit Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar; die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung entbehre eines sachlichen Grundes und verstoße deshalb gegen das Willkürverbot. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf die Urteilsgründe (Bl. 32 ff d. A.). Bezug genommen.

Gegen dieses am 11. August 1994 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des beklagten Landes, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 8. September 1994 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 1. Oktober 1994 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Das beklagte Land vertritt auch in der Berufungsinstanz die Auffassung, nach dem eindeutigen Wortlaut der Übergangsvorschrift Nr. 4 Buchst. b zu § 19 BAT-O seien Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen von der Anrechnung als Vordienstzeit ausgeschlossen. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG sei nicht zu erkennen; insbesondere sei hier der aus Art. 3 Abs. 3 GG hergeleitete Grundsatz der Tarifhoheit zu beachten. Eine willkürliche Regelung sei nicht gegeben, da die Tarifvertragsparteien offensichtlich davon ausgegangen seien, daß eine Tätigkeit für die Grenztruppen nicht durch eine Anrechnung der dort verbrachten Tätigkeitszeiten im neuen Tarifrecht honoriert werden solle. Die Grenztruppen seien ebenso wie das Ministerium für Staatssicherheit Einrichtungen des SED-Unrechtssystems gewesen, bei denen die Mißachtung der allgemeinen Menschenrechte besonders deutlich hervorgetreten sei. Zu den Grenztruppen seien nur solche Bürger der DDR genommen worden, die das Vertrauen der zuständigen Sta...

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