Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialkassenbeiträge
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe wegen Verletzung in Deutschland anwendbaren europäischen Arbeitsrechts.
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 29.08.1997; Aktenzeichen 67 Ca 55270/96) |
Nachgehend
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 29. August 1997 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 67 Ca 55270/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist als Gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft. Die Beklagte ist ein Betrieb, der Rohrleitungs-, Erd-, Tief- und Straßenbauarbeiten sowie Horizontalbohrungen und Durchörterungen ausführt. Sie teilte dem Kläger mit Schreiben vom 17.10.1995 mit, sie kündige ihre Mitgliedschaft in der ZVK zum 31.12.1995.
Mit drei vom Arbeitsgericht zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen hat der Kläger die Beklagte auf Auskunftserteilung und für den Fall der Nichterfüllung auf Zahlung einer Entschädigung nach § 61 Abs. 2 ArbGG und außerdem auf Zahlung von restlichen Sozialkassenbeiträgen in Anspruch genommen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
- ihm auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen, wieviele Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter (bis 31.12.1991) bzw. ab dem 01.01.1992 nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches, VI. Buch (SGB VI) über die gesetzliche Rentenversicherung arbeiterrentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Juni 1996 bis Januar 1997 in ihrem Betrieb beschäftigt worden seien sowie in welcher Höhe die Bruttolohnsumme insgesamt für diese Arbeitnehmer und die Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft in den jeweils genannten Monaten angefallen seien,
- für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt werde, an ihn eine Entschädigungssumme in Höhe von 248.000,– DM zu zahlen,
- ihm 64.398,18 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt.
die Klage insgesamt abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten: Sie sei zur Kündigung ihrer Mitgliedschaft beim Kläger berechtigt gewesen. Das ergebe sich aus Ziffer 11 der Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte, wonach es jedem Arbeitgeber freistehe, einer Koalition nicht beizutreten. Der Kläger stütze sich bei hier geltend gemachten Ansprüchen auf den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). Dessen Allgemeinverbindlichkeitserklärung mit der daraus folgenden Zwangsmitgliedschaft verletze in Deutschland anwendbares europäisches Arbeitsrecht.
Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat durch am 29.08.1997 verkündetes Urteil nach den Klageanträgen erkannt Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Seiten 6–11 der Urteilsausfertigung, Bl. 29–34 d. A.) verwiesen.
Das Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 20.10.1997 zugestellt worden. Die Berufung der Beklagten ist am 13.11.1997, die Berufungsbegründung ist – nach Fristverlängerung bis zum 05.01.1998 – am 05.01.1998 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
Zur Begründung ihres Rechtsmittels trägt die Beklagte vor
Die Regelung des § 5 Abs. 1 TVG, aufgrund derer der VTV für allgemeinverbindlich erklärt worden sei, stehe in Widerspruch zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, dort Titel I Ziff. 11. Die Bundesrepublik Deutschland habe diese Gemeinschaftscharta unterzeichnet und müsse sich deswegen auch daran messen lassen. Durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Tarifverträge werde sie, die Beklagte, in ihren Grundrechten verletzt; denn ihr stehe es nicht mehr frei, der ZVK beizutreten oder nicht.
Darüber hinaus verstoße die Allgemeinverbindlichkeitserklärung gegen den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere gegen Art. 85 Abs. 1 Buchst. d), aber auch gegen Art. 3, 5, 48, 59 und 60 EWG-Vertrag. Durch die zwangsweise Erhebung von Beiträgen für Sozialkassen in Höhe von derzeit 18,9 % der Bruttolohnsumme komme es zu einer Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 29.08.1997 die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Meinung: Es gehe nicht um eine Zwangsmitgliedschaft oder Mitgliedschaft, sondern um Beiträge zu einer Gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft, die wegen der angeordneten Allgemeinverbindlichkeit von allen Bauarbeitgebern, mithin auch von...