Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsanhörung und Sozialplan
Leitsatz (amtlich)
Teilt der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG mit, die Kündigung werde erst nach Abschluss eines Sozialplans erklärt, so ist eine gleichwohl zuvor ausgesprochene Kündigung gemäß § 101 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
Normenkette
BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 11.04.2002; Aktenzeichen 66 Ca 33351/01) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. April 2002 – 66 Ca 33351/01 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis in Folge einer betriebsbedingten Kündigung vom 29. Juni 2001 zum 31. März 2002 beendet worden ist oder ob es bis zum 30. September 2002 fortbestanden hat.
Die Beklagte betrieb eine Privatklinik und beschäftigte zuletzt regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten.
Die Klägerin, die schwerbehindert i.S.d. § 2 Abs. 2 SGB IX ist, war bei der Beklagten seit dem 18. August 1975 als Stationshilfe tätig.
Die Gesellschafter der Beklagten beschlossen am 1. Juni 2001, den Krankenhausbetrieb zum 31. Dezember 2001 stillzulegen und die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer zu kündigen. Der damals von der Beklagten bevollmächtigte Rechtsanwalt F. richtete in diesem Zusammenhang unter dem 14. Juni 2001 ein Schreiben an den bevollmächtigten Rechtsanwalt des Betriebsrats der Beklagten (Kopie Bl. 144 d.A.), in dem es u.a. heißt:
„Wegen der Notwendigkeit, die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse spätestens bis zum 30.06.2001 zu erklären, stehen die Verhandlungen vor der Einigungsstelle bedauerlicherweise unter erheblichem Zeitdruck. Ich hoffe, dass wir schnell zu einer für beide Seiten annehmbare Lösung kommen werden. Es ist beabsichtigt, die vor Ausspruch der Kündigungen erforderlichen Anhörungen des Betriebsrats auch schon vor Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans durchzuführen, wobei ich namens und in Vollmacht der Gesellschafter der G. Klinik ausdrücklich versichere, dass Kündigungen erst und nur dann ausgesprochen werden, wenn in der Einigungsstelle eine Einigung über den Interessenausgleich und Sozialplan erzielt worden ist. Der Arbeitgeber wird auf diese Weise die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte des Betriebsrats beachten. Ich gehe davon aus, dass Einwände gegen diese Verfahrensweise nicht bestehen.”
Nachdem die Hauptfürsorgestelle unter dem 15. Juni 2001 die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin erteilt hatte, hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 20. Juni 2001 (Kopie Bl. 88 f. d.A.) zu der Kündigung an. Sie überreichte gleichzeitig ein weiteres von Rechtsanwalt P. verfasstes Schreiben vom 19. Juni 2001 (Kopie Bl. 143 d.A.), in dem es u.a. heißt:
„Auch Ihnen und dem gesamten Betriebsrat gegenüber versichern wir namens und in Vollmacht unserer Mandantin, dass die beabsichtigten Kündigungen erst und nur dann ausgesprochen werden, wenn in der Einigungsstelle eine Einigung über den Interessenausgleich und Sozialplan erzielt worden ist. Diese Versicherung haben wir Herrn Rechtsanwalt S. gegenüber bereits in unserem Schreiben vom 14.06.2001 abgegeben.”
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin – 80 BVGa 17509/91 –, mit dem der Betriebsrat den Ausspruch von Kündigungen vor Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen verhindert wollte, erklärten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten erneut, man wolle nicht kündigen, bevor eine Interessenausgleich und Sozialplan vorliege.
Am 27. Juni 2001 scheiterte in der ersten Sitzung der Einigungsstelle der Versuch der Betriebsparteien, einen Interessenausgleich zu vereinbaren; ein Sozialplan wurde erst am 19. September 2001 vereinbart. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin gleichwohl mit Schreiben vom 29. Juni 2001 zum 31. März 2002. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16. November 2001 vorsorglich zum 30. September 2002.
Mit ihrer am 29. November 2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 10. Dezember 2001 zugestellten Klage hat sich die Klägerin zuletzt nur noch gegen die Kündigung vom 29. Juni 2001 gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen einer nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrates unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 29. Juni 2001 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. September 2002 fortbestehen wird
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die gegenüber dem Betriebsrat erfolgten Äußerungen bezüglich des Zeitpunkts der Kündigung stehe einer ordnungsgemäßen Durchführung des Anhörungsverfahrens nicht entgegen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit einem am 11. April 2002 verkündeten Urteil entsprochen. Die Kü...