Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung und tarifliche Ausschlußfristen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine tarifliche Regelung, wonach der Urlaubsanspruch verfällt, wenn der Urlaub nicht bis spätestens zum 31. März des Folgejahres gewährt und genommen worden ist, gilt auch für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung, der deshalb nicht einer allgemeinen tariflichen Ausschlußfrist unterfällt.
2. Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs kann wegen § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG auch in einem Tarifvertrag nicht einer Ausschlußfrist unterworfen werden.
3. Der sich aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 284 Abs. 1 Satz 1, 287 Satz 1 BGB ergebende Schadenersatzanspruch wegen unterlassener Urlaubsgewährung unterfällt einer allgemeinen tariflichen Ausschlußfrist.
Normenkette
RTV Dachdeckerhandwerk 1986 §§ 55, 64; BUrlG § 7 Abs. 4, § 13 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 29.01.1991; Aktenzeichen 13 Ca 765/90) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Januar 1991 – 13 Ca 765/90 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger stand in der Zeit vom 1. November 1989 bis zum 30. Juni 1990 als Arbeiter in den Diensten der Beklagten. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der bis zum 31. Dezember 1990 in Kraft befindlich gewesene allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk vom 21. Januar 1986 (RTV 1986) Anwendung, der für die Zeit ab 1. Januar 1991 durch den gemäß Bekanntmachung vom 2. April 1991 rückwirkend ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrag vom 27. November 1990 (RTV 1990) abgelöst wurde.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen zur Zahlung von Urlaubsabgeltung für vier Urlaubstage nebst Urlaubsgeld in rechnerisch unstreitiger Höhe von 849,45 DM brutto verurteilt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe ihren Einwand der Erfüllung von drei Urlaubstagen in Natur nicht unter Beweis gestellt. Der Urlaubsanspruch des Klägers sei auch nicht verfallen, weil der RTV 1986 für Urlaubsansprüche in § 55 eine spezielle Regelung enthalte, die der allgemeinen Regelung über Ausschlußfristen in § 64 vorgehe.
Gegen dieses ihr am 8. März 1991 zugestellte Urteil richtet sich die am 8. April 1991 eingelegte und zugleich begründete Berufung der Beklagten. Sie ist der Ansicht, daß die Regelung des § 55 RTV 1986 allein für den Anspruch auf Erholungsurlaub nicht jedoch für den Urlaubsabgeltungsanspruch gelte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Januar 1991 – 13 Ca 765/90 – zu ändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, wie sie zur Zahlung von 849,45 DM brutto verurteilt worden sei.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Begründung der angefochtenen Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
1.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und nach dem Beschwerdewert gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG zulässige Berufung der Beklagten ist fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 518, 519 Abs. 1 und 3 ZPO).
2.
Die Berufung ist unbegründet.
2.1
Mit seinem nach dem 31. März 1991 formulierten Antrag auf Zurückweisung der Berufung hat der Kläger hinreichend zum Ausdruck gebracht, sein Klagebegehren hinsichtlich der vier abzugeltenden Urlaubstage aus 1990 unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt verfolgen zu wollen. Die darin liegende Umstellung von Erfüllung auf Schadenersatz war gemäß § 264 Nr. 3 ZPO als zulässig anzusehen.
2.2
Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von 849,45 DM brutto Schadenersatz gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 284 Abs. 1 Satz 1 und 2, 287 Satz 1 BGB, weil sein Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 55 RTV 1986 mit Ablauf des 31. März 1991 erloschen ist, zu einer Zeit, als die Beklagte sich bereits in Verzug befand, und weil das Erlöschen des Urlaubsabgeltungsanspruches auch den Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld hat entfallen lassen. § 48 Nr. 1 RTV 1990, der ohnehin nur eine dahingehend Neuregelung gebracht hat, daß den Parteien des Arbeitsverhältnisses nunmehr die Möglichkeit einer einverständlichen Urlaubsübertragung bis zum 31. Dezember des dem Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres eingeräumt wird, fand trotz der grundsätzlich zulässigen Rückwirkung seiner Allgemeinverbindlicherklärung (dazu BAG, Urteil vom 21.07.1988 – 2 AZR 527/87 – AP § 1 TVG Rückwirkung Nr. 10 zu II 1 a der Gründe) keine Anwendung, weil den Tarifvertragsparteien hinsichtlich bereits entstandener Ansprüche aus dem Tarifvertrag keine Regelungsmacht (mehr) zusteht (LAG Berlin, Urteil vom 12.05.1989 – 6 Sa 20/89 – ZTR 1989, 486 zu 2.2.2.1).
2.2.1
Nachdem die Beklagte ihren Erfüllungseinwand mit der Berufung nicht weiterverfolgt hat, kam es allein darauf an, ob der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers bereits mit Ablauf der allgemeinen Ausschlußfrist des § 64 Nr. 1...