Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung. Tätlichkeit gegen Mitarbeiter. Parteivernehmung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Abmahnung ist entbehrlich, wenn es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. In diesen Fällen muss es dem Arbeitnehmer bewusst sein, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Dies ist bei vorsätzlichen Tätlichkeiten gegenüber Arbeitskollegen der Fall.
2. Die Entscheidung über die Vernehmung einer Partei nach § 448 ZPO obliegt dem Ermessen des Gerichts. Dabei bestimmt das Gericht, welche Partei nach § 448 ZPO zu vernehmen ist, ohne Rücksicht auf die Beweislast allein danach, welche Partei zum Beweisthema eigene Wahrnehmungen bekunden kann. Dies kann ohne weiteres auch der Prozessgegner des Beweisführers sein.
3. Das Berufungsgericht ist zu einer erneuten Zeugenvernehmung nach § 398 Abs. 1 ZPO verpflichtet, wenn es die Glaubwürdigkeit eines im ersten Rechtszug vernommen Zeugen abweichend beurteilen will und es hierfür auf den persönlichen Eindruck ankommt, den der Zeuge hinterlässt. Diese Grundsätze gelten nach § 451 ZPO für eine Parteivernehmung entsprechend.
Normenkette
BGB § 626; ZPO §§ 448, 398; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 10.02.2005; Aktenzeichen 81 Ca 23464/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Februar 2005 – 81 Ca 23464/04 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte betreibt eine Spielbank. Der Kläger ist bei ihr seit Dezember 1977 als Croupier beschäftigt. Mit Datum des 15. Februar 2001 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil dieser angeblich dem Arbeitnehmer K. während des Dienstes am Tisch in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 2000 Ohrfeigen angedroht habe (Blatt 22 der Akte). Der Kläger verfasste unter dem Datum des 2. Mai 2001 eine Gegendarstellung (Blatt 23 der Akte). Mit Schreiben vom 17. Februar 2003, 6. März 2003 und 13. August 2004 beschwerten sich drei andere Mitarbeiter der Beklagten über das Verhalten des Klägers (Blatt 24 bis 27 der Akte). Wegen der Beschwerde vom 6. März 2003 erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem Datum des 4. August 2003 eine Ermahnung (Blatt 28 der Akte).
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 3. Juni 2004 teilte der Arbeitnehmer K. der Beklagte mit, der Kläger habe ihm in der Nacht von Samstag, dem 3. April 2004 zu Sonntag, dem 4. April 2004, zum Dienstschluss gegen 3.00 Uhr morgens „unmotiviert von hinten einen kräftigen Stoß” versetzt, worauf er gegen den gusseisernen Türrahmen geprallt sei und sich erheblich verletzt habe. Der konsultierte Arzt habe ein Schleudertrauma und in der Folge Arbeitsunfähigkeit vom 5. bis 18. April 2004 festgestellt (Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Sch. vom 3. Juni 2004, Blatt 74 der Akte). Zuvor hatte der Arbeitnehmer K. am 5. April 2004 einen Arzt aufgesucht, der ihm eine Prellung der Hals- und Brustwirbelsäule sowie ein Schleudertrauma bescheinigt hatte (ärztliche Bescheinigung Blatt 62 f. der Akte) und am 7. April 2004 bei dem Polizeipräsidenten in Berlin Strafanzeige gegen den Kläger erstattet (Kopie der Strafanzeige Blatt 76 der Akte).
Mit Schreiben vom 26. August 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu dem von dem Arbeitnehmer K. gegen ihn erhobenen Vorwurf an (Blatt 63 der Akte). Der Kläger erwiderte mit Schreiben vom 31. August 2004, er könne keine Angaben machen, der geschilderte Vorfall habe nicht stattgefunden.
Mit Schreiben vom 7. September 2004 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten fristgerechten Kündigung des Klägers an (Anhörungsschreiben Blatt 29 der Akte). Mit Schreiben vom 10. September 2004 stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung zu.
Mit Schreiben vom 14. September 2004, dem Kläger am 15. September 2004 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. April 2005.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Blatt 81 bis 87 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Arbeitnehmers K. als Zeugen und gegenbeweislicher Parteivernehmung des Klägers mit Urteil vom 10. Februar 2005 der Kündigungsschutzklage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 14. September 2004 nicht aufgelöst werden wird. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Zwar sei der Betriebsrat ordnungsgemäß sowohl zu einer Tat- als auch zu einer Verdachtskündigung angehört...