Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Tätigkeit. Aufpumpen eines Fahrradreifens durch Pressluft
Leitsatz (amtlich)
Das Aufpumpen eines Fahrradreifens bzw. -schlauches auf dem Werksgelände 40 Minuten vor der beabsichtigten Heimfahrt mit Hilfe der betrieblichen Pressluftanlage stellt eine betriebliche Tätigkeit i.S.v. § 637 RVO bzw. § 8 Abs. 1 SGB VII dar.
Normenkette
RVO § 637; SGB VII § 8 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 05.02.2003; Aktenzeichen 7 Ca 35876/01) |
Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Februar 2003 – 7 Ca 35876/01 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2) Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Klägers gegen die Erben eines ehemaligen Arbeitskollegen (im Folgenden: Erblasser), der den Kläger auf dem Betriebsgelände ihres gemeinsamen Arbeitgebers geschädigt hat.
Dem liegt folgender von Anfang an bzw. im Laufe des Rechtsstreits durch nur pauschales Bestreiten seitens des Klägers unstreitiger bzw. unstreitig gewordener Sachverhalt zugrunde:
Am 30. Mai 1994 fuhr der Erblasser auf das Fabrikgelände des gemeinsamen Arbeitgebers mit einem Mountainbike. Um ca. 14.50 Uhr, 40 Minuten vor Ende der täglichen Arbeitszeit, pumpte er einen Fahrradreifen bzw. -schlauch mit der betriebseigenen Pressluftanlage auf. Ob er dabei einen selbst hergestellten Adapter benutzte, ist streitig. Der Schlauch platzte mit einem lauten Knall, welchem der zufällig vorbeikommende Kläger ausgesetzt wurde. Daraufhin arbeitete der Kläger nicht mehr bei seinem damaligen Arbeitgeber wegen eines Hörschadens.
Der Kläger ist im Rahmen seiner zunächst beim Landgericht Berlin am 4. September 1998 eingegangenen Klage der Auffassung gewesen, dass keine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 637 RVO vorgelegen habe. Der Erblasser habe überdies mit bedingtem Vorsatz und außerhalb der Betriebsordnung gehandelt. Ein Zusammenhang mit der Heimfahrt des Erblassers sei nicht ersichtlich.
Der Erblasser hätte durch seine Haftpflichtversicherung mit Schreiben vom 27. September 1994 bzw. 3. November 1994 ein Schuldanerkenntnis abgegeben. Im Schreiben vom 27. September 1994 heißt es unter anderem:
„Zur Sache selbst teilen wir mit, dass wir bei derzeitiger Sach- und Rechtslage grundsätzlich von einer Haftung unseres Versicherungsnehmers ausgehen.
Unverbindlich bitten wir darum, den von ihrem Mandanten geltend gemachten Ersatzanspruch zu beziffern und ggf. zu belegen.”
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 5. Februar 2003 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Der vorliegend geltend gemachte Körper- und Gesundheitsschaden und seine Folgeschäden einschließlich des Schmerzensgeldanspruchs, der zugunsten des Klägers unterstellt werde, sei gemäß § 637 RVO ausgeschlossen. Beim Aufpumpen des Fahrradreifens bzw. -schlauches handele es sich um eine betriebliche Tätigkeit im Sinne von § 637 RVO. Der Begriff „betriebliche Tätigkeit” sei nicht eng auszulegen. Darunter falle nach obergerichtlicher Rechtsprechung auch die Teilnahme am innerbetrieblichen Werksverkehr mit dem Fahrrad. Das Aufpumpen des Reifens stehe in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem beabsichtigten Fahrradfahren. Ein Vorsatz des Erblassers sei nicht ersichtlich.
Endlich liege auch kein Schuldanerkenntnis des Erblassers bzw. seiner Haftpflichtversicherung vor, welches sich die Erbinnen zurechnen lassen müssten. Es sei schon fraglich, ob sich der Erblasser die Erklärungen einer Haftpflichtversicherung zurechnen lassen müsse. Jedenfalls aber sei nach einer Auslegung der Erklärung, insbesondere der Wörter „grundsätzlich” und „unverbindlich”, davon auszugehen, dass die Haftpflichtversicherung keine definitive Regelungszusage erteilen wollte, sondern sich eine Prüfung der Schadenspflicht vorbehalten habe. Dieser Vorbehalt schließe auch die Möglichkeit einer Änderung der Rechtserkenntnis ein.
Wegen der konkreten Begründung im arbeitsgerichtlichen Urteil und des Parteivortrags erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5.Februar 2003 (Bl. 348-357 d.A.) verwiesen.
Gegen dieses ihm am 2. April 2003 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 29. April 2003 eingegangene und am 21. Mai 2003 begründete Berufung des Klägers.
Er rügt insbesondere die fehlerhafte Auslegung bzw. Anwendung des Rechtsbegriffs „betriebliche Tätigkeit” und hält das Fahrradreifenaufpumpen nicht für eine solche.
Ferner sei dem Arbeitsgericht nicht in seiner Auslegung hinsichtlich des konstitutiven Schuldanerkenntnisses des Erblassers bzw. seiner Versicherung zu folgen. Die Verwendung des Wortes „grundsätzlich” sei als „dem Grunde nach” zu verstehen und bedeute daher ein Anerkenntnis dem Grunde nach, welches sich der Erblasser zurechnen lassen müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Februar 2003 zum Aktenzeichen 7 Ca 35876/01 aufzuheben und
- die Beklagten zu verurteilen, an ihn 166....