Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung des Arbeitsvertrages mit einer transsexuellen Arzthelferin
Leitsatz (amtlich)
1. Ein beim Einstellungsgespräch als Frau auftretender männlicher Bewerber, der zwar bereits einen weiblichen Vornamen tragen darf, jedoch mangels eines seine äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriffs noch nicht aufgrund gerichtlicher Entscheidung als dem weiblichen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, braucht den Arbeitgeber im Regelfall nicht auf seine transsexuelle Prägung hinzuweisen. Anders verhält es sich für den Beruf der Arzthelferin, soweit die Patienten je nach Fachrichtung des Arztes diesem und damit auch dessen Hilfspersonal ihren Intimbereich öffnen müssen.
2. Darin, daß dem Arzt, nachdem ihm die vom äußeren Erscheinungsbild abweichende biologische Geschlechtszugehörigkeit seiner Helferin bekannt geworden ist, diese zunächst noch kurze Zeit daraufhin beobachtet, ob sich bei ihrer Tätigkeit Auffälligkeiten zeigen, liegt noch keine Bestätigung seiner wegen arglistiger Täuschung anfechtbaren Vertragserklärung. Keine Bestätigung ist auch darin zu sehen, daß er das Arbeitsverhältnis unter deutlicher Unterschreitung der vereinbarten Kündigungsfrist zum Monatsende kündigt, zumal wenn seine Helferin aufgrund einer Krankschreibung ohnehin nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz zurückzuerwarten
Normenkette
BGB §§ 123, 144; TSG § 10
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 28.03.1990; Aktenzeichen 35 Ca 37/90) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. März 1990 – 35 Ca 37/90 – geändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, die biologisch ein Mann ist, empfindet
sich aufgrund ihrer transsexuellen Prägung dem weiblichen Geschlecht zugehörig. Dementsprechend wurde ihr Vorname durch inzwischen rechtskräftigen Beschluß des Amtsgerichts Schöneberg von 27. September 1988 – 70 III 514/88 – auf der Grundlage des Transsexuellengesetzes vom 10. September 1980 (BGBl. I S. 1354) – TSG – in … geändert. Dagegen ist die gerichtliche Feststellung der Zugehörigkeit der Klägerin zum weiblichen Geschlecht bislang noch nicht erfolgt, weil der dazu erforderliche operative Eingriff an den äußeren Geschlechtsmerkmalen noch nicht vorgenommen wurde.
Der Beklagte führt als Chirurg eine sogenannte Durchgangspraxis mit einem hohen Anteil türkischer Patienten. Er beschäftigt regelmäßig neben einer Sekretärin und einer Krankengymnastin drei Arzthelferinnen und zwei Auszubildende.
Aufgrund schriftlichen Vertrags vom 18. Oktober 1989 (Bl. 3 f.d.A.) war die Klägerin für den Beklagten seit dem 2. Oktober 1989 als Arzthelferin zu einem Monatsgehalt von 2.150,– DM brutto tätig. Die Kündigungsfrist war mit einem Monat zum Monatsende vereinbart. Über die Geschlechtszugehörigkeit der äußerlich als Frau auftretenden Klägerin wurde bei der Einstellung nicht gesprochen.
Mit Schreiben vom 23. Januar 1990 (Bl. 5 d.A.) kündigte der Beklagte der Klägerin zum Ende des Monats ohne Angabe von Gründen. Durch ein weiteres Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 30. Januar 1990 (Bl. 9 f.d.A.), das dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am folgenden Tag zuging, ließ der Beklagte dann noch die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen Täuschung über das Geschlecht der Klägerin erklären.
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist. Sie hat behauptet, sich bereits am 28. Oktober 1989 Mit dem Beklagten über ihre Transsexualität unterhalten zu haben. Der Beklagte habe ihr sogar einen befreundeten Arzt für plastische Chirurgie zur Durchführung der noch ausstehenden Operation empfohlen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat durch Urteil vom 28. März 1990 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis weder durch die Anfechtungserklärung vom 30. Januar 1990 noch durch die Kündigung vom 23. Januar 1990 aufgelöst wurde, sondern bis zum 28. Februar 1990 fortbestanden hat. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe den Beklagten nicht über ihre Geschlechtszugehörigkeit getäuscht, weil sie sich nur ihrer Veranlagung gemäß verhalten habe. Eine Täuschung über die Geschlechtszugehörigkeit wäre nur möglich, wenn eine Person psychisch und körperlich einem Geschlecht zuzuordnen sei und sich als dem anderen Geschlecht zugehörig ausgebe, was im Falle der Transsexualität ohne erfolgte Geschlechtsumwandlung jedoch gerade nicht gegeben sei. Eine arglistige Täuschung habe die Klägerin auch nicht dadurch begangen, daß sie den Beklagten nicht von sich aus auf ihre Transsexualität und ihren körperlichen Zustand hingewiesen habe. Da die transsexuelle Prägung zu den intimsten Dingen des betroffenen Menschen gehöre, habe für die Klägerin keine Offenbarungspflicht bestanden. Für die Tätigkeit einer Arzthelferin sei es unerheblich, ob sie transsexuell und körperlich ein Mann sei. Dies habe sich auch im Falle der Klägerin ge...