Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines nunmehr als Museumswächter tätigen ehemaligen Obersten des Ministeriums für Staatssicherheit
Leitsatz (amtlich)
1. Aus der Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Ziff. 5 des Einigungsvertrages vom 31. Juli 1990 (BGBl. II S. 885, 1140) folgt kein völlig eigenständiges Recht zum Ausspruch von außerordentlichen Kündigungen im Bereich des öffentlichen Dienstes.
2. Bei den dort erwähnten Fallgestaltungen handelt es sich nicht um absolute, sondern nur um an sich für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeignete wichtige Gründe i. S. von § 626 I BGB, der von den genannten Bestimmungen einerseits vorausgesetzt, andererseits durch sie aber auch inhaltlich modifiziert wird.
3. In die danach erforderliche Interessenabwägung sind neben der vom Arbeitnehmer früher eingenommenen Position im MfS auch die Art der dort ausgeübten Tätigkeit, die Ursachen und die Umstände des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem früheren Dienstverhältnis sowie dessen nunmehr im öffentlichen Dienst wahrgenommene Funktion einzubeziehen.
Normenkette
Einigungsvertrag vom 31. Juli 1990 (BGBl. II S. 885, 1140) Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Abs. 1 Ziff. 5; BGB § 626 I
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 19.03.1991; Aktenzeichen 68 Ca 12639/90) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. März 1991 – 68 Ca 12639/90 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Der am 12. Juli 1932 geborene Kläger war seit dem 1. März 1990 als Mitarbeiter der Betriebswache bei den Staatlichen Museen zu Berlin beschäftigt, die seit dem 3. Oktober 1990 in die vorläufige Trägerschaft der Beklagten übergingen. In der Beschäftigungsdienststelle des Klägers waren regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigt. Er erhielt unter Einreihung in die Vergütungsgruppe G 4 des Rahmenkollektivvertrages für das Ministerium für Kultur ein Bruttomonatsgehalt von 1.250,– DM. Die Mitarbeiter des Wachdienstes tragen üblicherweise als Dienstkleidung einen dunklen Anzug, auf dem sich eine Spange mit der Aufschrift „Hauswache” oder ähnliches befindet, so daß sie als zum Hause gehörig erkenntlich sind.
Am 6. November 1990 führte die Beklagte eine Anhörung des Klägers durch, der dabei angab, von März 1952 bis Februar 1990 als hauptamtlicher Mitarbeiter, zuletzt im Range eines Obersten in der Funktion eines Abteilungsleiters in der Hauptabteilung II, im Bereich der Spionageabwehr für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tätig gewesen zu sein (wegen der weiteren Einzelheiten der Anhörung wird auf das Protokoll, Bl. 15–17 d.A., verwiesen). Dies nahm die Beklagte zum Anlaß, das Arbeitsverhältnis des Klägers mit einem diesem am selben Tage zugegangenen Schreiben vom 16. November 1990 (Kopie Bl. 6 d.A.) außerordentlich zum 30. November 1990 zu kündigen. Zuvor hatte sie den bei ihr gebildeten Hauptpersonalrat mit Schreiben vom 8. November 1990 (Bl. 19 d.A.) über die Kündigungsabsicht unterrichtet. Dieser hatte der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 9. November 1990 (Bl. 18 d.A.) zugestimmt.
Mit seiner am 7. Dezember 1990 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Er hat die Ansicht vertreten, ein die Kündigung rechtfertigender Grund hätte nicht vorgelegen; zudem sei die Kündigung auch wegen der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrates unwirksam.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 16. November 1990 zum 30. November 1990 aufgelöst wurde, sondern fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, ihr wäre die weitere Beschäftigung des Klägers im Hinblick auf Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag i.V.m. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 nicht zumutbar; denn der Kläger könnte wegen seiner langjährigen hauptamtlichen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit und seine dort eingenommene herausragende Position das im öffentlichen Dienst erforderliche Verfassungsverständnis nicht besitzen.
Mit am 19. März 1991 verkündetem Urteil hat das Arbeitsgericht Berlin – 68 Ca 12 639/90 – der Klage stattgegeben. Es hat dies im wesentlichen damit begründet, daß der Beklagten schon nach deren eigenem Vortrag eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht unzumutbar wäre. Nach der von der Beklagten in Anspruch genommenen Regelung des Einigungsvertrages dürfe nämlich nicht allein auf die frühere Tätigkeit des Klägers abgestellt werden, während die von ihm nunmehr wahrgenommene untergeordnete Position in einem im übrigen nicht notwendig öffentlich-rechtlich organisierten Bereich es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht...