Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungskonforme Auslegung von Tarifnormen. Vergütung im Westteil Berlins beschäftigter kirchlicher Mitarbeiter
Leitsatz (amtlich)
Durch den am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen KMT hat keine vergütungsmäßige Absenkung der Arbeitsverhältnisse solcher Beschäftigter herbeigeführt werden sollen, die bereits vorher schon Westniveau erreicht hatten, weil sonst gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen wurde.
Normenkette
Tarifvertrag für kirchliche Mitarbeiter in der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg vom 27. April 1993
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 01.12.1994; Aktenzeichen 17 Ca 9850/94) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. Dezember 1994 – 17 Ca 9850/94 – geändert;
2. Es wird festgestellt, daß sich der Vergütungsanspruch der Klägerin für den Zeitraum vom
- 1. Januar bis 31. Dezember 1992 nach den Bestimmungen des Tarifvertrags für hauptberufliche Mitarbeiter in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin West),
- 1. Januar 1993 bis 30. Juni 1994 – b.w. –
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob sich der Vergütungsanspruch der Klägerin nach den tarifvertraglichen Vorschriften für die kirchlichen Mitarbeiter der Beklagten in der früheren Region Ost oder in der früheren Region West richtet.
Die im Ostteil Berlins wohnende Klägerin war seit dem 17. Dezember 1979 bei der Berliner Missionsgesellschaft tätig. In der Folge der Zusammenführung der beiden Landeskirchen in Berlin-Brandenburg mit Wirkung ab 01. Januar 1991 wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf das Berliner Missionswerk als einer unselbständigen Untergliederung der Beklagten übergeführt. Das Berliner Missionswerk verfügt über Dienstgebäude im Westteil wie im Ostteil der Stadt. Seit 01. September 1991 wird die Klägerin im Dienstgebäude in der Handjerystraße in West-Berlin beschäftigt. Über einen Umzug der dort untergebrachten Referate in ein Dienstgebäude in Ost-Berlin wurde bislang noch nicht entschieden.
Im dritten Quartal 1992 machte die Klägerin schriftlich einen Anspruch auf Vergütung entsprechend dem Tarifvertrag für hauptberufliche Mitarbeiter in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin West), dem KMTH, tätig. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1992 wies die Beklagte sie darauf hin, daß dieser Tarifvertrag nicht Gegenstand der mit ihr getroffenen arbeitsrechtlichen Vereinbarung geworden sei; ob dieser Tarifvertrag in ihrem Falle direkt hätte Anwendung finden müssen, wolle man anhand des sog. Post-Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 30.07.1992 prüfen.
In einem formularmäßigen Nachtrag Nr. 4 zum Arbeitsvertrag der Klägerin vom 07. Dezember 1993 (Ablichtung Bl. 12 R d.A.) wurde ihre Eingruppierung mit Wirkung zum 01. Januar 1992 und der Beginn der fünfjährigen Bewährungszeit ab diesem Zeitpunkt festgehalten. Die nicht gestrichene Fußnote verwies dazu auf die Anlage 1 zum KMTH.
Die Klägerin ist der Ansicht, bereits aufgrund dieses Nachtrags einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf die sog. Westvergütung erlangt zu haben. Jedenfalls sei es nicht sachlich gerechtfertigt, wenn die tarifvertraglichen Vorschriften eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer je nach räumlicher Herkunft zuließen. Im übrigen erhalte auch eine neu eingestellte Kollegin, die im Ostteil Berlins wohne, Westvergütung.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei in der Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 1992 nicht dem KMTH unterfallen, weil sich aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 dieses Tarifvertrags ergebe, daß dieser nur für Arbeitnehmer gelte, die immer schon im Westteil Berlins gearbeitet hätten. Aus dem Nachtrag Nr. 4 zum Arbeitsvertrag vom 07. Dezember 1993 ergebe sich kein rechtsgeschäftlicher Verpflichtungswille der Beklagten; vielmehr habe nur klargestellt werden sollen, in welche Vergütungsgruppe die Klägerin im Wege des Normvollzugs eingruppiert sei. Für die Zeit ab 01. Januar 1993 ergebe sich aus § 1 Abs. 3 Satz 1 der Zusatzvereinbarung zum Tarifvertrag für kirchliche Mitarbeiter in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (KMT) vom 27.04.1993, daß die Klägerin lediglich Anspruch auf Vergütung nach Teil 0 der Vergütungs- und Lohntarifverträge habe, weil ihr erst nachträglich ein Arbeitsplatz im Westteil Berlins zugewiesen worden sei. Diese zwar zunächst von Gewerkschaftsseite sofort wieder gekündigte Zusatzvereinbarung sei jedoch in Kenntnis des sog. Post-Urteils des Bundesarbeitsgerichts durch Tarifvertrag vom 29. September 1993, der eine besondere Zulage vorsehe, wieder in Kraft gesetzt worden. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden hiergegen nicht, weil die Tarifvertragsparteien in Ausübung der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Tarifautonomie eine wesentlich differenziertere Regelung getroffen hätten als in den tariflichen Vorschriften des öffentlichen Dienstes, die bislang Gegenstand der Entschei...