Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 16.06.1995; Aktenzeichen 19 Ca 8099/95) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Juni 1995 – 19 Ca 8099/95 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung.
I. Der am 19. November 1950 geborene Kläger leistete von 1970 bis 1972 seinen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Unter dem Datum des 18. Juli 1974 schrieb der Kläger eine als „Verpflichtung” benannte handschriftliche Erklärung folgenden Wortlauts (Ablichtung Bl. 62 d.A.) nieder, die er mit seinem Namen unterzeichnete:
„… verpflichte mich auf freiwilliger Grundlage mit dem Ministerium für Staatssicherheit [MfS] zusammenzuarbeiten.
Ich bin darüber belehrt worden, daß ich über diese Zusammenarbeit zu keiner Person sprechen werde, auch nicht mit meinen Verwandten und Bekannten.
Zu meiner eigenen Sicherheit werde ich die von mir gegebenen schriftlichen Hinweise mit dem Namen … unterzeichnen.
Ich bin mir bewußt, daß diese Zusammenarbeit zur Erhöhung der Sicherheit unserer Republik beiträgt. Eine Verletzung dieser Verpflichtung schädigt das Ansehen des MfS und trägt nicht zur Einhaltung unserer sozialistischen Rechtspflege bei.”
In der Folgezeit kam es zu vielfältigen Kontakten des Klägers zu dem ihm zugeteilten Führungsoffizier (FO); einem Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) vom 1. September 1994 (Ablichtung Bl. 58–61 d.A.) an die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung zufolge, ergaben sich daraus „23 Treffberichte der Führungsoffiziere” und „14 handschriftliche Berichte” des Klägers, unterschrieben mit Decknamen (Blatt 2 aaO. [Bl. 59 d.A.]). Wegen eines Beispiels für einen Personenbeobachtungsauftrag (Lokalbesuch in Strausberg) wird auf der von der Beklagten zu den Akten gereichten „schriftlichen Auftrag” des MfS vom 9. November 1974 (Ablichtung Bl. 63–64 d.A.) und auf den Bericht des Klägers vom 10. November 1974 (Ablichtung Bl. 65–66 d.A.) verwiesen.
Mit gleichfalls handschriftlich aufgesetztem Schreiben vom 13. Mai 1976 (Ablichtung Bl. 68 d.A.) teilte der Kläger dem MfS folgendes mit:
„Ich bin im Folgenden nicht bereit, mit dem MfS zusammenzuarbeiten.
Der Hauptgrund hierfür ist, daß ich durch den Charakter der ‚konspirativen’ Tätigkeit gezwungen bin, gegenüber den Menschen, mit denen ich zusammenlebe, unaufrichtig zu sein. Außerdem konnte ich den mir gestellten Aufgaben (‚Kontaktaufnahmen’ z. B.) entnehmen, daß ich für diese nicht geeignet bin.
Ich hatte und habe keinerlei materielle Forderungen an das MFS.”
II. Im Jahre 1982 kam es, unter Umständen, zu denen Darstellungen und Einschätzungen der Parteien teilweise auseinandergehen, zu erneuten Kontakten des Klägers zum MfS (Einzelbericht BStU Blatt 3 aaO. [Bl 60 d.A.]: Kläger „gelangte … erneut in das Blickfeld des Staatssicherheitsdienstes”). Der Kläger stellt die Zusammenhänge in einem Schreibon vom 19. Oktober 1994 an den Ehrenausschuß der Beklagten wie folgt dar (Seite 2–3 aaO. [Bl. 75–76 d.A.]:
„Es gab 1982 einen ausgesprochen ‚dummen Zufall’ ohne den ich wahrscheinlich bis heute nie wieder etwas vom MfS gehört hätte: Ein Freund, den ich seit Ende der siebziger Jahre kannte, besuchte mich. Er kam aus der damaligen Bundesrepublik und arbeitete an einer Universität. Als er kam erzählte er mir, er sei an der Grenze besonders scharf kontrolliert worden, nach dem Ziel seines Besuches gefragt worden und hätte meinen Namen und meine Adresse angeben müssen. Das fand ich so ganz in Ordnung – wohl wissend, daß Ärger ins Haus stehen würde, da ich diesen ‚Westkontakt’ entgegen den bestehenden Vorschriften nicht gemeldet hatte. Dann aber fügte mein Freund hinzu, er hätte den Grenzbeamten auch eröffnen müssen, daß er gegenwärtig (wie er mit erzählte seit einiger Zeit nach Auslaufen des Universitäts-Zeitvertrages) im Bundeskanzleramt arbeite.
Ich hatte nun genug Erfahrung und Phantasie um zu ahnen, welche Maschinerie damit in Gang gesetzt war. Und wir besprachen sofort, daß ich meine Meldung des ‚Kontaktes’ nun wohl ‚nachholen’ müsse, daß der entsprechende Vorgang in der Universität sicher schon vorliegen würde, daß dabei möglicherweise auch das MfS eine Rolle
[Seite 3:] spielen könne, und daß ich sicherlich Angaben zu seiner Person machen müsse. Damit war er einverstanden. Kurz nach seiner Abreise meldete ich also den Kontakt in meiner damaligen Sektion und befand mich rasch vor dem Schreibtisch des damaligen Kreissekretärs der SED, der mich ebenso rasch an zwei Herren ‚weiterreichte’, die sich als Mitarbeiter des MfS auswiesen.
Es ging sehr direkt um drei Zusammenhänge: (1.): um das Maß meiner Verfehlung (des Nicht-Meldens) und der entsprechend möglichen Konsequenzen; (2.) um die Frage, ob ich zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS bereit sei...