Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingeschränkte Sozialauswahl bei einer Kündigung nach Anlage I zum Einigungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Das Bühnenschiedsgericht Berlin ist für Mitglieder IG Medien, die an Bühnen im Ostteil der Stadt beschäftigt werden, nicht zuständig.
2. Die vom Bundesverfassungsgericht im sog. Warteschleifenurteil (BVerfGE 84, 133) im Wege verfassungskonformer Auslegung betonte besondere Schutzbedürftigkeit von Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern und Alleinerziehenden muß auch im Rahmen einer Kündigung nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 2 der Anlage I zum EV beachtet werden.
3. Entsprechend § 79 Abs. 4 PersVG-DDR, der nach § 6 Nr. 4 Lit. a des Zweiten Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 10.12.1990 (GVBl. S. 2289) für eine Kündigung nach dem Einigungsvertrag im Ostteil der Stadt weiterhin Anwendung findet, ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Arbeitgeber dem Personalrat nicht die Gründe mitgeteilt hat, weshalb gerade dieser Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar sein soll.
Normenkette
Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 2 der Anlage I zum EV; § 6 Nr. 4 Lit. a Zweites Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 10.12.1990 (GVBl. S. 2289)
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 02.12.1991; Aktenzeichen 60 A Ca 18129/91) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 2. Dezember 1991 – 60 A Ca 18129/91 – wird zurückgewiesen.
II. Der Auflösungsantrag wird abgewiesen.
III. Der Beklagte hat die Kosten der Berufungsinstanz zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer auf die Übergangsregelungen für den öffentlichen Dienst in der Anlage I zum Einigungsvertrag (EV) gestützten ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 23. Juli 1991.
Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage stattgegeben. Die vom Beklagten erhobene Einrede der Zuständigkeit des Bühnenschiedsgerichts Berlin hat es mit der Begründung zurückgewiesen, der Tarifvertrag über die Bühnenschiedsgerichtsbarkeit sei in der Auflistung der für das Beitrittsgebiet in Kraft gesetzten Tarifverträge in § 24 Nr. 2 Normalvertrag/Solo nicht enthalten, während sich aus § 21 Normalvertrag/Solo ergebe, daß ein Bühnenschiedsgericht nur nach Maßgabe der vereinbarten Schiedsgerichtsordnung zuständig sein solle. Die Kündigung sei unwirksam, weil der Vortrag der Beklagten, daß sich die …-Platz innerhalb kürzester Zeit aus der „künstlerischen Provinz” zu einem „Avantgarde-Theater” entwickeln müsse und dies mit der derzeitigen Altersstruktur nicht möglich sei, mangels einer konkreten Konzeption nicht erkennen lasse, daß kein Bedarf mehr für die Arbeitsleistung der Klägerin in der Spielzeit 1992/93 bestehe.
Gegen dieses ihm am 11. Februar 1992 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. März 1992 eingelegte und am 9. April 1992 begründete Berufung des Beklagten.
Er wiederholt seine Schiedsgerichteinrede und meint, daß bei Fehlen einer Verfahrensordnung sich das Verfahren des Schiedsgerichts nach §§ 104 ff. ArbGG richte. Die Entscheidung, mit welchen Schauspielern der neue Intendant …, dessen Vertragsunterzeichnung nur noch eine Formsache sei, sein neues Konzept für die … verwirklichen wolle, unterliege nur begrenzt der arbeitsgerichtlichen Überprüfung. Dies ergebe sich auch aus § 89 PersVG Berlin, der das Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei Einstellungen und Entlassungen in dem hier interessierenden Bereich ausschließe. In der Altersgruppe von 45 bis 55 Jahren hätte sich sechs Schauspielerinnen mit ungefähr gleicher Beschäftigungszeit befunden, von denen nach dem vorgesehenen Reduzierungsmaßstab zwei hätten ausscheiden müssen. Der damalige und der designierte Intendant hätten sich unter Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse und der künftigen Einsatzmöglichkeiten in einem Spielplan, der dem Gutachten von Prof. … entsprochen habe, entschieden, die damals 52jährige Klägerin und eine 54jährige Kollegin zu entlassen.
Im Verhandlungstermin hat der Beklagte noch hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Klägerin mit der Begründung begehrt, es sei keine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen dem neuen, selbst Regie führenden Intendanten und der Klägerin zu erwarten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen, hilfsweise,
das Arbeitsverhältnis zur Klägerin gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und den Aufhebungsantrag abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und beanstandet, daß weiterhin offengeblieben sei, welche konkreten Umstände oder Erwägungen dazu geführt hätten, gerade ihr zu kündigen. § 89 PersVG Berlin könne keine Anwendung finden, weil mit ihr keine Gage auf der Grundlage eines Normalvertrags vereinbart gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufun...