Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeitrecht. Arbeitsschutzrecht. Wendezeiten als Arbeitszeiten. Öffentlicher Personennahverkehr und Arbeitszeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Richtlinie 104/93/EG und das Arbeitszeitgesetz stellen Vorschriften des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes dar. Sie sind keine Rechtsgrundlagen für die Bestimmung der Höhe von Arbeitszeitvergütungen.
2. Wendezeiten innerhalb einer Dienstschicht im Linienverkehr des öffentlichen Personennahverkehrs können von den Tarifvertragsparteien auch anteilmäßig als Arbeitszeiten bewertet werden.
Normenkette
ArbZG §§ 3, 5 Abs. 2; RL 104/93/EG; TVG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Cottbus (Urteil vom 13.08.2003; Aktenzeichen 8 Ca 833/03) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus – 8 Ca 833/03 – vom 13. 8. 2003 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Straßenbahnfahrer im Linienverkehr bei der Beklagten, deren Mehrheitsgesellschafter die Stadt Cxxxxxx zu 97 Prozent ist. Die Wendezeiten, das sind Zeiten zwischen Ankunft an einer Endhaltestelle und die erneute Abfahrt zu einer neuen Linienfahrt, wurde bisher im gesamten Umfang als Arbeitszeit ebenso wie die Fahrzeiten vergütet.
Ausweislich des zwischen den Parteien am 10.11.1994 geschlossenen Änderungsvertrages ist unter anderem vereinbart worden:
„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem BMT-G-O/BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.”
Nachdem die Beklagte aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) zum 31.12.2001 ausgeschieden war, wurde sie zum 01.10.2002 erneut dessen Mitglied. Am 01.01.2002 trat der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Brandenburg (Sparten-TV Nahverkehr Brandenburg, TV-N BRB) vom 27.06.2001 in Kraft. In § 9 TV-N BRB – besondere Arbeitszeitregelungen für Arbeitnehmer im Fahrdienst – heißt es unter anderem:
„…
(2) Die Dienstschicht umfasst die reine Arbeitszeit, die Pausen und die Wendezeiten. Sie soll innerhalb eines Zeitraumes von 12 Stunden liegen. in betriebsnotwendigen Fällen kann der Zeitraum auf bis zu 14 Stunden ausgedehnt werden.
…
(7) Für die Vorbereitungs- und Abschlussdienste sowie – bei Abrechnung und Einzahlung – für den Weg zwischen der Ablösungs- und Abrechnungsstelle wird die notwendige Zeit in die Arbeitszeit eingerechnet. Gleiches gilt für die sich aus dem Dienst- und Fahrplan ergebenden Wendezeiten. Soweit die planmäßigen Wendezeiten innerhalb der Dienstschicht insgesamt eine Stunde überschreiten, wird die darüber hinausgehende Zeit mit der Hälfte als Arbeitszeit bewertet. Die als pausenfähig angerechneten Wendezeiten werden hiervon nicht berührt. Betrieblich können abweichende Regelungen vereinbart werden.
(8) Die nach dem ArbZG oder nach der Fahrpersonalverordnung zu gewährende Pause kann durch Arbeitsunterbrechungen (z. B. Wendezeiten) abgegolten werden, wenn deren Gesamtdauer mindestens 1/6 der durchschnittlich im Dienst- und Fahrplan vorgesehenen reinen Fahrtzeit (Lenkungs- oder Kurbelzeit) beträgt. Arbeitsunterbrechungen unter acht Minuten werden bei der Ermittlung der Pausen nicht berücksichtigt. …”
Die Beklagte wendet diese Regelungen seit dem 18.04.2003 an.
Mit der am 08.04.2003 beim Arbeitsgericht Cottbus eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, die Wendezeiten in vollem Umfang – bezüglich der Vergütung und der Anrechnung auf die tarifvertraglich geschuldete Arbeitszeit – als solche zu berücksichtigen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch lasse sich nicht aus dem Sparten-TV herleiten, dieser stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes bzw. der Arbeitszeitrichtlinie der EG vom 23.11.1993 (93/104/EG), verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Regelungen des § 9 Abs. 7 TV-N BRB sei von der Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien gedeckt. Eine betriebliche Übung auf Anrechnung der gesamten Wendezeit auf die Arbeitszeit bestehe nicht.
Gegen das ihm am 08.09.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.09.2003 Berufung eingelegt und diese – nach rechtzeitiger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.12. 2003 – an diesem Tag begründet.
Er trägt vor, gemäß Art. 2 Nr. 1 der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie sei die Wendezeit als volle Arbeitszeit zu werten, denn er übe in dieser Zeit auch Tätigkeiten aus, wie z. B. Sicherheitsüberprüfungen, Säuberungen des Zuges u. ä., die als Arbeit anzusehen seien.
Er beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Cottbus – 8 Ca 833/03 – vom 13.08.2003 festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, auch nach dem 18.04.2003 die Wendezeit...