Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Kündigungsfrist in der Bauwirtschaft der neuen Länder
Leitsatz (amtlich)
1. Die Traifvertragsparteien des Baugewerbes haben mit der Regelung des § 12 a BTV-Bau keine eigenständige tarifliche Regelung der Kündigungsfristen getroffen, sondern nur die gesetzliche Kündigungsfrist des § 55 AGB/DDR in den Tarifvertrag deklaratorisch aufgenommen.
2. Nach dem Wegfall des § 55 AGB/DDR durch die Neuregelung des Art. 5 Kündigungsfristengesetz ist die gesetzliche Grundlage für die deklaratorische Tarifregelung entfallen.
3. Unter Berücksichtigung einer weiten Tarifauslegung gilt nunmehr auch in der Bauindustrie der neuen Bundesländern die Vorschrift des § 12 Ziff. 1.1. BRTV-Bau, die eine zulässige abweichende konstitutive Regelung der Kündigungsfrist iSd § 622 Abs. 4 S. 1 BGB darstellt.
Normenkette
BRTV-Bau § 12 Ziff. 1.1, § 12a; AGB/DDR § 55; Kündigungsfristengesetz Art. 5; BGB § 622 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Urteil vom 14.03.1996; Aktenzeichen 3 Ca 4016/95) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts … vom 14.03.1996 – 3 Ca 4016/95 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die tarifgebundenen Parteien streiten über die Dauer der Kündigungsfrist.
Der Kläger war seit dem 01.08.1995 bei der Beklagten als M. beschäftigt. Mit Schreiben vom 08.12.1995, das dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristgemäß zum 15.12.1995”.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß Arbeitsverhältnis habe gem. § 12 a BRTV nur mit einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden können.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 08.12.1995 zum 15.12.1995 aufgelöst wurde, sondern bis zum 22.12.1995 fortbestand.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, daß gem. § 12 Nr. 1.1 BRTV die Kündigungsfrist 6 Werktage betrage.
Mit Urteil vom 14.03.1996 hat das Arbeitsgericht … der Klage stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen das am 23.04.1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.05.1996 Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, daß im vorliegenden Fall die Grundkündigungsfrist des § 12 Ziff. 1.1 BRTV Anwendung finde.
Sie beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts … vom 14.03.1996 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, daß aus § 12 a BRTV – Bau – die Geltung der jeweiligen gesetzlichen Mindestkündigungsfrist folge. Hieraus ergebe sich, daß nunmehr in den neuen Bundesländern nicht die Kündigungsfrist des § 12 Ziff. 1.1 BRTV gelte, sondern die des neugeregelten § 622 BGB.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist bei einem Beschwerdewert von 813,95 DM an sich statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG i. V.m. §§ 518, 519 ZPO).
II.
Sie ist auch begründet. Die Klage ist unbegründet, da die Beklagte die tarifliche Mindestkündigungsfrist eingehalten hat. Die Kündigungsfrist ergibt sich aus § 12 Ziff. 1.1 BRTV Bau und betrug im Falle des Klägers 6 Werktage.
1.) Die Vorschrift des § 12 a BRTV Bau, die wie folgt lautet:
„Im Beitrittsgebiet wird § 12 Nr. 1.1. durch folgende Regelung ersetzt: Das Arbeitsverhältnis kann beiderseitig unter Einhaltung einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden.”
- § 12 BRTV Bau in der Fassung vom 10.09.1992 lautet auszugsweise:
„Beendigung des Arbeitsverhältnisses
1. Kündigungsfristen
1.1 Allgemeine Kündigungsfrist
Das Arbeitsverhältnis kann beiderseitig unter Einhaltung einer Frist von 6 Werktagen, nach 6 monatiger Dauer von 12 Werktagen, gekündigt werden.” -
ist durch die gesetzliche Neuregelung der Kündigungsfristen und den damit verbundenen Wegfall des § 55 AGB/DDR gegenstandslos geworden. Denn § 12 a BRTV Bau enthielt keine eigenständige Regelung der Grundkündigungsfristen im Beitrittsgebiet, sondern verwies lediglich auf § 55 Abs. 1 AGB/DDR. Dies folgt aus der Auslegung dieser Vorschrift.
a.) Bei einer inhaltlichen Übereinstimmung einer Kündigungsfristenregelung in Tarifvertrag und Gesetz ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Tarifvertragsparteien eine eigenständige, von dem Bestand der gesetzlichen Norm unabhängige Regelung treffen wollten. Für die Auslegung sind im wesentlichen Tarif Wortlaut, Systematik des Tarifvertrages, Sinn und Zweck der Regelung und bei verbleibenden Zweifeln Tarifgeschichte, praktische Tarif Übung sowie Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages heranzuziehen (vgl. BAG AP...