Leitsatz (amtlich)
Allein die Tatsache, daß einem Arbeitnehmer Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlungen bewilligt worden ist, vermag eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 62 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 219 ZPO nicht zu rechtfertigen.
Verfahrensgang
ArbG Bremerhaven (Urteil vom 24.09.1992; Aktenzeichen 1 Ca 378/92) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Bremerhaven vom 24. September 1992 – 1 Ca 378/92 – einzustellen, wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
Gemäß § 62 Abs. 1 ArbGG kann auch in den Fällen des § 719 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Zwangsvollstreckung aus einem nicht rechtskräftigen Urteil nur dann eingestellt werden, wenn die Beklagte glaubhaft macht, daß die Vollstreckung ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
Ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 62 Abs. 1 ArbGG liegt vor, wenn die Wirkungen der Zwangsvollstreckung nicht wieder rückgängig gemacht, werden können, die Zwangsvollstreckung mithin zu irreparablen Beeinträchtigungen bei der Beklagten führen würde. Bei der Geldvollstreckung ist dies der Fall, wenn der mit der Titelaufhebung bestehende Rückforderungsanspruch (§ 717 Abs. 2 ZPO) nicht realisierbar ist und damit die „vorläufige” Vollstreckung ggf. bereits zu einem endgültigen Vermögensverlust führt. Aus dem Erfordernis der Glaubhaftmachung § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG folgt, daß die den Nachteil begründenden Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehen müssen (vgl. dazu Vollkommer Anm. zu LAG Bremen, EzA § 62 ArbGG 1979 Nr. 9; Dütz, DB 1980 Seite 1070; LAG Bremen, EzA § 62 ArbGG 1979 Nr. 9; LAG Düsseldorf, EzA, § 62 ArbGG 1979 Nr. 1, 2 und 3). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein nicht zu ersetzender Nachteil für die Beklagte gegeben ist; ist mithin ein strenger Maßstab anzulegen, wobei das Sicherungsbedürfnis des Gläubigers und die Belange des Schuldners sowie die Gefahr nicht zu ersetzender Nachteile gegeneinander abzuwägen sind (vgl. LAG Bremen a.a.O.). Zu berücksichtigen ist ferner, daß der Gesetzgeber grundsätzlich alle arbeitsgerichtlichen Urteile für vollstreckbar erklärt hat, mithin auch ein gewisses Risiko für die Schuldner in Kauf genommen hat. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Verfahren in der Arbeitsgerichtsbarkeit unter einem besonderen Beschleunigungsgrundsatz stehen, was den Gesetzgeber dazu veranlaßt hat, den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, nach erfolgreichem Abschluß eines Rechtsstreits die in erster Instanz ausgeurteilten Beträge vollstrecken zu können.
Die Beklagte hat ihren Antrag im wesentlichen nur mit der Behauptung begründet, Schadensersatzansprüche seien auf Dauer nicht realisierbar, weil die Bezüge des Klägers, wie sich aus der Tatsache, daß ihm Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden sei, unter den Pfändungsfreigrenzen lägen.
Diese Behauptung ist weder glaubhaft gemacht noch ist sie substantiiert dargelegt. Allein die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt bekommen hat, sagt nichts darüber aus, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß die Vollstreckung eines – in diesem Fall geringen – Geldbetrages von ca. DM 600,– für die nächste Zukunft ausgeschlossen ist: falls das Urteil des Arbeitsgerichts durch das Landesarbeitsgericht aufgehoben würde. Die Beklagte hat weder vorgetragen, daß der Kläger sich „in Vermögensverfall” befindet, daß er über seine Verhältnisse lebt, daß andere pfändbare Gegenstände nicht vorhanden sind, daß der Kläger überhaupt keine Aussicht hat, wieder eine Arbeit zu finden, deshalb auf Dauer auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe angewiesen ist. Dies alles wären Gesichtspunkte, die in eine Abwägung der gegenseitigen Interessen mit einzubeziehen wären. Zudem hat der Kläger zu Recht darauf hingewiesen, daß die Prozeßkostenhilfe nur deshalb bewilligt worden ist; weil er weitere Ratenverpflichtungen hat, die er erfüllt. Die Beklagte mag, falls das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben werden würde, mit ihrer Forderung nicht sofort zum Zuge kommen, weil andere Ratenverpflichtungen des Klägers zunächst zu bedienen sind. Diese Tatsache reicht aber keinesfalls aus, um die strengen Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 ArbGG zu erfüllen.
Der Antrag war nach allem als unbegründet zurückzuweisen.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 70 ArbGG.
Fundstellen