Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtstellung eines Betriebsratsmitglieds. Anspruch auf Freizeitausgleich wegen Wege-Fahrt- und Reisezeiten im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Betriebsratstätigkeit i.S. v. § 37 Abs. 3 BetrVG zählen auch solche Tätigkeiten, die für sich allein keine Betriebsratstätigkeit darstellen, jedoch in einem unmittelbaren notwendigen sachlichen Zusammenhang mit der Durchführung einer Betriebsratstätigkeit stehen. Daher können auch Wege-, Fahrt- und Reisezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Erfüllung erforderlicher betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben außerhalb seiner Arbeitszeit aufwendet, einen Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG auslösen.

2. Bei Reisen teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder ist für die Frage der Inanspruchnahme von Arbeitszeit auf die übliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds abzustellen, d.h. soweit die erforderliche Reisezeit in die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds fällt, hat es den Ausgleichsanspruch nach § 37 Abs. 3 S. 2 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 21.09.2017; Aktenzeichen 5 Ca 5561/16)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 21.09.2017 - 5 Ca 5561/16 - abgeändert und

1. die Beklagte verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers zum 31.10.2017 79,75 Arbeitsstunden gutzuschreiben sowie

2. wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, im Falle der notwendigen Teilnahme des Klägers an einer Betriebsratssitzung die Anzahl von Stunden, die der Kläger für die An- und Abreise aufwendet, in vollem Umfang, jedoch maximal bis zum Umfang der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft, dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutzuschreiben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gutschrift von Reisezeiten, die der Kläger außerhalb der Arbeitszeit für die An- und Abreise zu Betriebsratssitzungen, die in Hamburg stattfinden, sowie für die Teilnahme an Betriebsversammlungen aufwendet.

Die Beklagte ist ein Logistikunternehmen mit Betrieben u.a. in Bremen, Hamburg, Hannover und Neumünster. Der Kläger ist bei der Beklagten ausschließlich am Standort Bremen als Sachbearbeiter in Teilzeit mit derzeit 3,5 Stunden pro Tag, täglich von 16:30 Uhr bis 20:00 Uhr, beschäftigt. Er bezieht derzeit einen Stundenlohn von ca. € 15,00 brutto.

Für die Betriebe der Beklagten in Hamburg, Bremen, Hannover und Neumünster ist ein Regional-Betriebsrat mit der Bezeichnung "Region Nord" mit Sitz in Hamburg gebildet. Dieser besteht aus sieben Mitgliedern. Der Kläger ist Ersatzmitglied und dritter Nachrücker. Die Betriebsratssitzungen finden grundsätzlich wöchentlich dienstags ab ca. 10:30 Uhr bzw. 11:00 Uhr in Hamburg statt.

Bis Ende Februar 2016 schrieb die Beklagte die Reisezeiten, die der Kläger für Betriebsratssitzungen in Hamburg aufwandte, in vollem Umfang - entsprechend der bei der Beklagten bis dahin geltenden Reisezeitenrichtlinie (Anl. B2, Bl. 85 f. d.A.) - dem Arbeitszeitkonto des Klägers gut.

Basierend auf der seit dem 01.03.2016 bei der Beklagten geltenden Unternehmensrichtlinie zur "Vergütung von Dienstreisezeiten" (Anl. A2, Bl. 20 ff. d.A.) erkennt die Beklagte nunmehr nur noch die über die erste Stunde hinausgehende Reisezeit an und schreibt sie dem Arbeitszeitkonto des Klägers gut. In der Unternehmensrichtlinie heißt es:

"...

§ 4 Vergütung von Dienstreisezeiten an Arbeitstagen

Dienstreisezeiten, die innerhalb der dienstplanmäßig festgelegten Arbeitszeit erbracht werden, werden im Hinblick auf die individuelle tägliche Sollarbeitszeit insgesamt wie Arbeitszeit berücksichtigt und vergütet.

Gleiches gilt, soweit bei Arbeitnehmern in Gleitzeit die Dienstreisezeit und die am Ausgangs- und/oder am Zielort erbrachte Arbeitszeit zusammen nicht mehr als die individuelle tägliche Sollarbeitszeit ausmachen.

Dienstreisezeiten, die außerhalb der dienstplanmäßig festgelegten Arbeitszeit erbracht werden, werden wie zuschlagsfreie Arbeitszeit vergütet, sofern diese den Zumutbarkeitswert von 60 Minuten insgesamt an diesem Tag überschreiten. Wenn und soweit Dienstreisezeiten zum Zweck des Besuchs arbeitgeberseits veranlasster Weiterbildungsmaßnahmen aufgewandt werden, wird die über die individuelle tägliche Sollarbeitszeit hinausgehende Dienstreisezeit insgesamt wie zuschlagsfreie Arbeitszeit vergütet.

...

§ 7 Reisen von Ehrenamtsträgern

Für Reisen von Mitgliedern der Betriebsräte und des Gesamtbetriebsrats ..., die zur Erfüllung deren gesetzlicher Aufgaben notwendig sind, gelten die Bestimmungen dieser Unternehmensrichtlinie entsprechend.

§ 8 Inkrafttreten, Änderungen

(1) Diese Unternehmensrichtlinie tritt zum 01.03.2016 in Kraft und löst bisherige betriebliche Regelungen zur Behandlung von Dienstreisezeiten ersatzlos ab.

..."

Die Beklagte behandelt Dienstreisezei...

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