Entscheidungsstichwort (Thema)
Dynamische Bezugnahmeklausel auf tarifliche Vergütungsbestimmungen im Arbeitsvertrag. Auslegung von Arbeitsverträgen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die pauschale Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf tarifliche Vergütungsbestimmungen ohne Nennung fester Beträge und ohne Angabe einer konkret nach Datum festgelegten Fassung des in Bezug genommenen Tarifvertrags ist dynamisch zu verstehen, es sei denn, eindeutige Hinweise sprechen für eine statische Bezugnahme.
2. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind aber auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Bremen (Entscheidung vom 14.12.2017; Aktenzeichen 3 Ca 3316/16) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen -Bremerhaven vom 14.12.2017 - 3 Ca 3316/16 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 250,92 € brutto nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz auf 41,82 € seit dem 01.07.2016, auf 41,82 € seit dem 01.08.2016, auf 41,82 € seit dem 01.09.2016, auf 41,82 € seit dem 01.10.2016 auf 41,82 € seit dem 01.11.2016 und auf 41,82 € seit dem 01.12.2016 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Gegen dieses Urteil wird für die Beklagte die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Weitergabe einer Tariferhöhung.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.07.2000 als Redakteur beschäftigt. Der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag enthält unter § 6 folgende Regelung (Bl. 6 d. A.):
"Gehalt
Der Redakteur wird in die Gehaltsgruppe R IIa des gültigen Gehaltstarifs eingestuft.
Sein monatliches tarifliches Bruttogehalt beträgt 5.017,00 DM."
In § 15 ist unter der Überschrift "Sonstiges" geregelt:
"Im Übrigen gelten die tariflichen Bestimmungen."
Mit Schreiben vom 8. Mai 2002 wandte sich die Beklagte unter der Betreffzeile "Vertragsentfristung" an den Kläger und formulierte hierbei (vgl. Bl. 98 d. A.):
"Sehr geehrter Herr M.,
wir können Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass wir Ihren befristeten Vertrag über den 30.6.2002 hinaus entfristen.
Ihre sonstigen Anstellungsbedingungen bleiben unverändert erhalten.
Zum Zeichen Ihres Einverständnisses mit der oben genannten Regelung bitten wir Sie, die beigefügte Zweitschrift dieses Schreibens unterzeichnet an uns zurückzugeben. [...]"
Am 20.09.2005 wechselte die Beklagte von einer Mitgliedschaft mit Tarifbindung in eine sogenannte OT-Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V.. Trotz dieses Wechsels in die OT-Mitgliedschaft gab die Beklagte die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariferhöhungen an den Kläger weiter. Bis zum 31.05.2016 betrug das Arbeitsentgelt des Klägers 2.788,80 €. Der seit dem 01.01.2016 gültige Gehaltstarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen sieht ab dem 01.06.2016 eine Erhöhung des Tarifgehalts von 1,5 % vor. Diese Erhöhung des Tarifgehalts wurde durch die Beklagte nicht an den Kläger weitergegeben. Mit Schreiben vom 05.08.2016 machte der Kläger der Beklagten gegenüber die Auszahlung fehlenden Gehalts - 41,82 €/Monat - für den Zeitraum Juni und Juli 2016 geltend (vgl. Bl. 17 d. A.).
Der Kläger hat vorgetragen, aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 8. Mai 2002 sei von einem Neuvertrag auszugehen. Da die Beklagte mit diesem Schreiben bestätigt habe, dass die sonstigen Anstellungsbedingungen unverändert blieben, falle der Kläger nicht mehr unter die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellungsabrede. Die Verweisung auf den Gehaltstarifvertrag in § 6 des Arbeitsvertrags des Klägers sei vorliegend daher nicht mehr einschränkend dahingehend auszulegen, dass die in der Bezugnahmeklausel zum Ausdruck gebrachte Dynamik nur so weit gehe, wie sie mit einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reichen würde und daher ende, wenn der Arbeitgeber nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklung gebunden sei. Jedenfalls sei ein Anspruch auf Gewährung der Tariferhöhungen aus betrieblicher Übung entstanden. Die Redakteure hätten darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte sich dauerhaft entsprechend der Tarifentwicklung verhalten werde. Bis zum Jahr 2010 hätten weder die Redakteure noch der Betriebsrat gewusst, dass die Beklagte zwischenzeitlich in die OT-Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. gewechselt sei. Dieser Umstand sei im November 2010 mehr oder weniger zufällig bekannt geworden und habe zu großer Unruhe bei den Redakteuren geführt. Bereits auf einer Betriebsversammlung am 23.11.2010 sei deutlich gemacht worden, dass die Beklagte unabhängig von einer OT-Mitgliedschaft das jeweilige Tarifgehalt zahlen werde; allein schon, um nicht mit jedem Einzelnen Vert...