Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Feststellungsklage im Verhältnis zur Leistungsklage. Tarifautonomie und inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien. Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG durch unterschiedliche Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifvertrag. Arbeitsmedizinische Erkenntnisse zur Nachtarbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Feststellungsklage ist zulässig, wenn auf diesem Wege eine sachgemäße, einfache Erledigung der Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen.
2. Als selbstständigen Grundrechtsträgern kommt den Tarifvertragsparteien aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dennoch darf und muss der Staat durch die Gerichtsbarkeit den Schutz anderer Grundrechtsträger gewährleisten.
3. Bei der unterschiedlichen Zuschlagsregelung für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit haben die Tarifvertragsparteien mit der für die Nachtarbeitszuschläge vorgenommenen Gruppenbildung den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten, indem sie für eine Gruppe von Normadressaten ohne sachlichen Grund eine erheblich weniger günstige Zuschlagsregelung geschaffen haben als für eine vergleichbare Gruppe. Zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit im Sinne der Tarifregelung bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die eine stark unterschiedliche Nachtarbeitsvergütung rechtfertigen. Die Regelung verstößt deshalb gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
4. Nach derzeitigen wissenschaftlichen arbeitsmedizinischen Erkenntnissen kann nicht davon ausgegangen werden, dass Nachtarbeit im Wechsel mit anderen Arbeitszeiten belastender ist als dauerhafte Nachtarbeit. Es gibt deshalb keinen sachlichen Grund für eine tarifliche Differenzierung der Zuschlagshöhe.
Normenkette
ZPO § 253; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; MTV Metallindustrie Unterweser § 6 Buchst. 1.2, Buchst. Buchst. 1.3, Buchst. 1.4 Nr. 1-2
Verfahrensgang
LAG Bremen (Entscheidung vom 05.12.2017; Aktenzeichen 6 Ca 6223/17) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 5.12.2017 - 6 Ca 6223/17 - teilweise abgeändert, und
1. die Beklagte verurteilt, an den Kläger 695,05 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2016 zu zahlen.
2 Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Nachtarbeitszuschläge des Manteltarifvertrags der Metallindustrie Unterwesergebiet in der Fassung vom 03.07.2008 und in der Fassung vom 17.12.2018 für zwischen Montag und Freitag zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete "regelmäßige Nachtarbeit" im Sinne des § 6 Ziffer 1.2, 1.4 Nr. 1 des Manteltarifvertrags in gleicher Höhe zu gewähren, wie für "unregelmäßige Nachtarbeit" im Sinne des § 6 Ziffer 1.3, 1.4 Nr. 2. des Manteltarifvertrags.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtstreits hat die Beklagte zu tragen.
5. Gegen dieses Urteil wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge für an den Wochentagen Montag bis Freitag geleistete Arbeitsstunden.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der Automobilindustrie. Der Kläger ist seit dem 1. März 1990 bei der Beklagten als Kfz-Schlosser beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 3.546,90 €. Seit 2017 arbeitete der Kläger fast durchgehend in Nachtschichten. Die Nachtschicht beginnt jeweils um 22:03 Uhr und endet um 6:03 Uhr des darauf folgenden Tages. Die Arbeitswoche des Klägers beginnt sonntags um 22:03 Uhr und endet freitags um 6:03 Uhr.
Aufgrund beidseitiger Tarifgebundenheit galt für das Arbeitsverhältnis der Parteien der Manteltarifvertrag der Metallindustrie Unterwesergebiet für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende vom 3. Juni 2008, gültig ab 1. Oktober 2008, der in § 6 Folgendes regelt:
"§ 6 Nachtarbeit
1. Landbetriebe
1.1 Begriff
Als Nachtarbeit gelten die Stunden von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr bzw. bis zum Beginn des neuen Arbeitstages.
1.2 Regelmäßige Nachtarbeit
Regelmäßige Nachtarbeit liegt vor, wenn sie an fünf und mehr aufeinanderfolgenden Arbeitstagen (z.B. Donnerstag, Freitag, Montag, Dienstag, Mittwoch) geleistet wird.
1.3 Unregelmäßige Nachtarbeit
Unregelmäßige Nachtarbeit liegt vor, wenn sie an weniger als fünf aufeinanderfolgenden Arbeitstagen geleistet wird.
1.4 Zuschläge
1. für regelmäßige Nachtarbeit 15 %
2. für unregelmäßige Nachtarbeit 50 %
1.5 Für Pförtner, Wächter und Feuerwehrleute ist die Nachtarbeit zuschlagsfrei."
Gemäß § 16 Ziffer 1.1 a) müssen Zuschläge innerhalb von 4 Wochen nach Aushändigung oder Zusendung der Entgeltabrechnung schriftlich geltend gemacht werden.
Am 17. Dezember 2018 schlossen die Tarifvertragsparteien einen neuen Manteltarifvertrag ab, der die vorhergehenden Manteltarifverträge ersetzte und seit dem 1. Januar 2019 gilt. Die oben zitierten Regelungen gelten danach unverän...