Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsstelle
Leitsatz (amtlich)
1. Die Offensichtlichkeitsprüfung im Bestellungsverfahren nach § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG betrifft allein die Rechtsfrage, ob die vom Betriebsrat oder vom Arbeitgeber gewünschte Regelung der Mitbestimmung unterliegt. Der Sachverhalt, der die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen bzw. einer mitbestimmten Regelung zugänglich sein soll, ist von Amts wegen zu erforschen (LAG Düsseldorf v. 21.08.1987, NZA 88, 211 ff.; Hennige, Das Verfahrensrecht der Einigungsstelle, 1996, 91 ff.).
2. Zu dem festzustellenden Sachverhalt gehören auch tatsächliche Gegebenheiten mit wertenden oder prognostischen Elementen. Will der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen (Verhinderung einer langfristigen Substanzgefährdung des Unternehmens) durch Betriebsvereinbarung in die sog. erdiente Dynamik einer betrieblichen Versorgungsregelung eingreifen, und beantragt er dazu die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden, ist das tatbestandliche Vorliegen der Gründe nach § 83 Abs. 1 ArbGG zu ermitteln. Im Streitfall hat der Arbeitgeber als Antragsteller die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage maßgeblichen konkreten Tatsachen vorzutragen.
Normenkette
ArbGG §§ 83, 98; BetrVG § 76 Abs. 2, § 87
Verfahrensgang
ArbG Essen (Beschluss vom 05.09.1997; Aktenzeichen 6 BV 36/97) |
Tenor
Unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Essen vom 05.09.1997 wird Herr Dr. J. A. M. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle bestellt, welche hinsichtlich der dienstzeitabhängigen künftigen Zuwächse die Neugestaltung des Systems der betrieblichen Altersversorgung für das Unternehmen der Antragstellerin nach den „Grundsätzen …” vom 28.10.1966 mit den Änderungen und Ergänzungen durch die Betriebsvereinbarungen vom 05.03.1981 und 02.02.1988 sowie über die „Versorgungsordnung …” vom 05.03.1981 mit den Änderungen und Ergänzungen durch die Betriebsvereinbarung vom 02.02.1988 regelt.
Im übrigen werden der Antrag der Antragstellerin und die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten im Verfahren nach § 76 Abs. 2 BetrVG i.V.m. § 98 ArbGG um die Bildung einer Einigungsstelle, die sich mit der Neuordnung des betrieblichen Versorgungssystem befassen soll. Der Arbeitgeber als Antragsteller befürchtet den Verzehr der Unternehmenssubstanz bei unveränderter Fortführung des Versorgungswerks und strebt dessen Neuordnung unter Reduzierung der Versorgungsleistungen an. Der Gesamtbetriebsrat (Antragsgegner) negiert das Vorliegen von wirtschaftlichen Gründen.
Der Arbeitgeber hatte am 28.10.1966 in mitbestimmten „Grundsätzen …” (Bl. 12 ff. der Gerichtsakte) die betriebliche Alters-, Hinterbliebenen- und Dienstunfähigkeitsversorgung geregelt. In einer Betriebsvereinbarung vom 05.03.1981 (Bl. 13, 17 ff.) und durch Betriebsvereinbarung vom 02.02.1988 (Bl. 14–16, 18–21) wurden die „Grundsätze …” abgelöst bzw. abgeändert. Zum 01.04.1993 wurde das Versorgungswerk für neu eintretende Mitarbeiter geschlossen.
Im Juli 1996 kündigte der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarungen zum 31.12.1996. Am 14.11.1996 stellte er dem Gesamtbetriebsrat die wirtschaftliche Situation des Unternehmens dar und legte ein Konzept zur Neuordnung des Versorgungswerks vor, wonach die Steigerungsbeträge für künftige Dienstzeiten und die künftige Fortschreibung des ruhegehaltsfähigen Einkommens durch ein Eckwertsystem abgelöst werden sollen. Das Eckwertsystem setzt – anders als das endgehaltsbezogene System – das individuelle, ruhegehaltsfähige Einkommen ins Verhältnis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze; die Verhältniszahl wird mit dem Eckwert multipliziert, um zu einer Rentensteigerung pro Dienstjahr zu gelangen. Damit löst es die automatische Gehaltsdynamik von Pensionsverpflichtungen ab, wie sie bei gehaltsabhängigen Systemen auftritt.
Unter dem 10.01.1997 negierte der Gesamtbetriebsrat die Notwendigkeit zu einem Eingriff in die bestehenden Versorgungsregelungen. Der Arbeitgeber erwiderte mit Schreiben vom 31.01.1997 und leitete dem Gesamtbetriebsrat eine „gutachtliche Stellungnahme” der C & L Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Bl. 49–80) zu. In der „Stellungnahme” ist ausgeführt, daß „Beteiligungserträge im jetzigen Stand des Gutachtens weitgehend nicht berücksichtigt” sind und „das vorläufige Ergebnis des Gutachtens sich daher im Rahmen der endgültigen Berücksichtigung dieser Erträge noch ändern” kann. Im übrigen legt das zu einer Anpassungsprüfung nach § 16 BetrAVG erstellte Gutachten das sog. ABA-Modell zugrunde.
Am 12.02.1997 kam es zu einem weiteren Gespräch zwischen den Beteiligten. Der Gesamtbetriebsrat hielt danach an seiner ablehnenden Haltung fest und teilte mit Schreiben vom 27.03.1997 dem Arbeitgeber u.a. folgendes mit:
„Nach Auffassung des Gesamtbetriebsrates ist weder die Voraussetzung noch die Notwendigkeit für eine solche Änderung des Altersversorgungs-Werkes gegeben.
Der Gesamtbetriebsrat geht davon aus, daß Sie an Ihrem Verlangen auf Änderung der betrieblichen Alters...