Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwillige Betriebsvereinbarung. Beendigung der vereinbarten Nachwirkung durch erzwingbares Einigungsstellenverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Den Betriebsparteien steht im Rahmen ihrer kollektivrechtlichen Regelungsbefugnis frei, freiwilligen Betriebsvereinbarungen auch Nachwirkung für den Kündigungsfall beizulegen.
2. In Ermangelung sonstiger Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen ist eine solche gleichzeitige Vereinbarung von Kündigungsmöglichkeit und Nachwirkung bei einer freiwilligen Betriebsvereinbarung regelmäßig dahin zu verstehen, daß die Parteien die Betriebsvereinbarung hinsichtlich Beendigungsmöglichkeit und anschließendem Übergangszeitraum der erzwingbaren Betriebsvereinbarung gleichstellen wollen, der freiwilligen Betriebsvereinbarung hinsichtlich der Nachwirkung mithin kein größeres Gewicht verschaffen wollen als der erzwingbaren (im Anschluß an LAG Düsseldorf, Beschluß vom 23.02.1988, NZA 1988, 813).
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 6, § 76 Abs. 6, § 87 Abs. 2, § 102 Abs. 6
Verfahrensgang
ArbG Krefeld (Beschluss vom 21.10.1996; Aktenzeichen 4 BV 49/96) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Krefeld vom 21.10.1996 – 4 BV 49/96 – abgeändert.
2. Es wird festgestellt, daß die Betriebsvereinbarung „Regelung des Verfahrens der personellen Maßnahmen” vom 19.08.1991 Nachwirkung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung bzw. – falls eine solche nicht zustande kommt – bis zum Spruch der Einigungsstelle hat. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten um die Nachwirkung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung.
Der Beteiligte zu 1) ist der im Betriebsrat V. des Beteiligten zu 2) (Arbeitgeber) bestehende Betriebsrat. Zwischen dem Betriebsrat und der Rechtsvorgängerin des Arbeitgebers, der Firma S. GmbH, Werk V., kam es am 19.08.1991 zum Abschluß einer „Betriebsvereinbarung zur Regelung des Verfahrens bei personellen Maßnahmen (§§ 99, 102 BetrVG)”, in welcher es unter anderem lautet:
„VI. Entlassungen
1. Kündigungen
Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören, auch wenn diese innerhalb der Probezeit ausgesprochen wird. Unter Kündigung ist jede Art der Kündigung des Arbeitgebers zu verstehen, die ordentliche und die außerordentliche.
2. Änderungskündigungen
Die Änderungskündigung stellt sich unbeschadet der Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers, von der es abhängt, ob das weitere Verfahren nach § 102 Abs. 2 ff oder § 99 Abs. 2 ff BetrVG bestimmt wird, von Seiten des Arbeitgebers aus auch als eine Kündigung dar, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen kann.
Zu den Nummern VI. 1 und 2 steht dem Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht zu. Eine Kündigung ohne ordentliche Anhörung und ohne Zustimmung des Betriebsrates ist unwirksam.
IX. Schlußbestimmungen
Diese Betriebsvereinbarung tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft und kann mit einer Frist von 3 Monaten zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Die Kündigung einzelner Teile dieser Vereinbarung hat keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der übrigen Betriebsvereinbarung. Diese Vereinbarung hat Nachwirkung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung.”
Die Rechtsvorgängerin des Arbeitgebers kündigte diese Betriebsvereinbarung zum 25.09.1991, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.1991 und 31.12.1994.
In einem mit dieser am 16.03.1992 abgeschlossenen Interessenausgleich lautet es:
„2. Sofern Kündigungen erforderlich sein werden, bleiben die Rechte des Betriebsrates, gemäß der Betriebsvereinbarung vom 19. August 1991 zur Regelung des Verfahrens bei personellen Maßnahmen (§§ 99, 102 BetrVG) sowie die des § 102 BetrVG, unberührt. Hinsichtlich Kündigungen werden die Anhörungsverfahren im einzelnen durchgeführt werden.”
In einem weiteren Interessenausgleich anläßlich der Übernahme der Gesellschaftsanteile durch den derzeitigen Arbeitgeber zum 01.09.1994 lautet es unter anderem:
„Sofern Kündigungen erforderlich sein werden, werden die Rechte des Betriebsrates, gemäß der Betriebsvereinbarung vom 19. August 1991 zur Regelung des Verfahrens bei personellen Maßnahmen (§§ 99, 102 BetrVG) beachtet. Hinsichtlich Kündigungen werden die Anhörungsverfahren im einzelnen durchgeführt.”
Der Arbeitgeber kündigte Ende 1994/Anfang 1995 die Betriebsvereinbarung vom 19.08.1991 vorsorglich erneut. Zu dem Abschluß einer neuen Vereinbarung kam es nicht. Anfang 1996 ersuchte der Arbeitgeber den Betriebsrat um Aufnahme von Neuverhandlungen und kündigte anderenfalls die einseitige Einleitung des Einigungsstellenverfahrens an.
Mit dem am 19. September 1996 bei dem Arbeitsgericht Krefeld eingegangenen Antrag hat der Betriebsrat die Feststellung begehrt, daß die Betriebsvereinbarung Nachwirkungen bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung habe; hilfsweise die Feststellung, daß diese Nachwirkung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung bestehe oder der Spruch der Einigungsstelle die Einigung ersetzt habe, nachdem beide Partei...