Entscheidungsstichwort (Thema)
EuGH-Vorlage: Mindestalter für Kündigungsfristverlängerung und europarechtliches Verbot der Altersdiskriminierung
Leitsatz (amtlich)
Die im Februar 1978 geborene Klägerin war seit Anfang 1996 bei der Beklagten beschäftigt. Mitte Dezember 2006 wurde ihr zu Ende Januar 2007 gekündigt. Die Klägerin hält § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, weil gemeinschaftsrechtswidrig, für unanwendbar und macht geltend, dass die Kündigung erst zu Ende April 2007 wirke. Das Landesarbeitsgericht hat, auch im Hinblick auf den aktuellen Diskussionsstand zu den Entscheidungen ‚Mangold’ und ‚Palacios’ (z.B. Wendeling-Schröder, AuR 2007, 390, Franzen, Anm. zu AP Nr. 23 zu § 14 TzBfG) mit Beschluss vom 21.11.2007 den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung darüber ersucht, ob § 622 Abs. 2 S. 2 BGB gegen gemeinschaftsrechtliches Primärrecht, i.c. das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt oder ob die Regelungsintentionen des nationalen Gesetzgebers die ‚Altersschwelle 25’ rechtfertigen, ob die nationalen Gerichte eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Gesetzesregelung auch ohne Vorabentscheidungsersuchen unanwendbar lassen müssen und ob bzw. wie lange das Vertrauen der Normunterworfenen auf geltendes nationales Gesetzesrecht schutzwürdig sein kann.
Hinweis der Kammer:
- EuGH-Rechtssachennummer: C-555/07 Kücükdeveci.
- Zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. auch LAG Düsseldorf, Vorlagebeschluss vom 02.08.2006, 12 Sa 486/06 (= C-350/06 Schultz-Hoff), [zu Art. 7 EGRL 2003/88], sowie LAG Düsseldorf, Vorlagebeschluss vom 10.08.2007, 9 Sa 303/07 (= C-466/07 Klarenberg) [zu Art. 1 Nr. 1 EGRL 2001/23].
Normenkette
EG Art. 234; EGRL 2000/78; BGB § 622 Abs. 2 S. 2; AGG § 2 Abs. 4; GG Art. 3, 20
Verfahrensgang
ArbG Mönchengladbach (Aktenzeichen 7 Ca 84/07) |
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art. 234 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Verstößt eine nationale Gesetzesregelung, nach der sich die vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfristen mit zunehmender Dauer der Beschäftigung stufenweise verlängern, jedoch hierbei vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers unberücksichtigt bleiben, gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung, namentlich gegen Primärrecht der EG oder gegen die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 ?
- Kann ein Rechtfertigungsgrund dafür, dass der Arbeitgeber bei der Kündigung von jüngeren Arbeitnehmern nur eine Grundkündigungsfrist einzuhalten hat, darin gesehen werden, dass dem Arbeitgeber ein – durch längere Kündigungsfristen beeinträchtigtes – betriebliches Interesse an personalwirtschaftlicher Flexibilität zugestanden wird und jüngeren Arbeitnehmern nicht der (durch längere Kündigungsfristen den älteren Arbeitnehmern vermittelte) Bestands- und Dispositionsschutz zugestanden wird, z.B. weil ihnen im Hinblick auf ihr Alter und/oder geringere soziale, familiäre und private Verpflichtungen eine höhere berufliche und persönliche Flexibilität und Mobilität zugemutet wird?
Wenn die Frage zu 1 a bejaht und die Frage zu 1 b verneint wird:
Hat das Gericht eines Mitgliedsstaats in einem Rechtsstreit unter Privaten die dem Gemeinschaftsrecht explizit entgegenstehende Gesetzesregelung unangewendet zu lassen oder ist dem Vertrauen, das die Normunterworfenen in die Anwendung geltender innerstaatlicher Gesetze setzen, dahingehend Rechnung zu tragen, dass die Unanwendbarkeitsfolge erst nach Vorliegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die inkriminierte oder eine im wesentlichen ähnliche Regelung eintritt?
Tatbestand
A. Sachverhalt
Die Klägerin, am 12.02.1978 geboren, war seit dem 04.06.1996 als Versandarbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die gesetzlichen Kündigungsfristen Anwendung.
Mit Schreiben vom 19.12.2006, am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung zum 31.01.2007, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Am 09.01.2007 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Mönchengladbach Kündigungsschutzklage eingereicht. Sie hat u.a. geltend gemacht, dass die Kündigung erst zum 30.04.2007 wirke, weil § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BGB die Kündigungsfrist nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit auf vier Monate zum Monatsende verlängere. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, der bestimme, dass vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Betriebszugehörigkeitszeiten unberücksichtigt bleiben, verstoße gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und habe daher unbeachtet zu bleiben.
Durch Teilurteil vom 20.11.2007 hat das Landesarbeitsgericht unentschieden gelassen, ob die Kündigung zum 31.01.2007 oder erst zum 30.04.2007 wirkt und im übrigen die Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom selben Tag hat es den noch rechtshängigen Teil des Verfahrens ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Vorabentscheidung ersucht.
Entscheidungsgründe
B. Rechtlicher Rahmen
Bürg...